StartChristentum, Hoffnung und TranszendenzFür jede Sünde ein Kleidungsstück

Für jede Sünde ein Kleidungsstück

  • Panoptikum des Frevels und der Gotteslästerung in der Beichte
  • Die beiden Berichte sprengen jedes Maß an Vorstellungskraft.
Kinderzimmer | Die Erfahrung aus dem Körper zu treten, 1998. Bilschirmaufnahme. Quelle: Katja

Mitte Oktober informierte die Zeitschrift Famille Chrétienne (Christliche Familie) darüber, dass Michel Santier, der ehemalige Bischof von Créteil (Großraum Paris), der 2021 zurückgetreten war, dies nicht, wie angedeutet, aus Gesundheitsgründen tat, sondern weil er von der kirchlichen Justiz in Rom ein Strafverfahren am Hals hatte. Der Grund war: er hatte in den 90iger Jahren, als er als Priester in der Normandie tätig war, junge Männer sexuell belästigt und dafür die Beichte „instrumentalisiert.“ Aber es kommt, wie meistens, noch dicker!

Nun ist die Instrumentalisierung der Beichte – eine erschreckende, ja geradezu diabolische Tatsache im Zusammenhang mit Missbrauch an Kindern und Jugendlichen – nichts Neues – laut Opferberichten ließen sich die schuldigen Priester immer wieder zu einer solchen Ruchlosigkeit herab, um die von ihnen schwer geschädigten Kinder und Jugendlichen im Beichtstuhl noch zusätzlich zu demütigen.

Santiers heimtückische und frevelhafte Phantasie bei der sexuellen Belästigung junger Männer bewegte sich auf einer anderen Schiene:

Er nahm diesen sogenannte Strip-Beichten ab.

Was hieß, dass er die Jünglinge in der Kirche während des Bußsakramentes dazu nötigte, „sich für jede Sünde eines Kleidungsstückes zu entledigen“ (NZZ, 09.11.22). Die französische, christlich-links orientierte Zeitschrift GOLIAS, die den Frevel zuerst enthüllte und mehrfach thematisierte, beschreibt diesen noch ausdrucksstärker:

Während des Sakraments der Versöhnung ließ er junge Männer sich vor der Eucharistie (vor dem Tabernakel) ausziehen – ein Kleidungsstück weniger für jede Sünde – bis zur Nacktheit“ (Golias, 26.10.22).

Mir blieb buchstäblich der Mund offen stehen ob dieser Perversion.

Striptease vor dem Tabernakel

  • Verhöhnung des Gekreuzigten
  • Verspottung des Altarsakraments
  • Demütigung junger Menschen. Missachtung ihrer Würde
  • Perversion des Bußsakraments
  • Gotteslästerung

Eine perverse Handlung, die selbst in der französischen (nichtkirchlichen) Mainstreampresse Ekel und Abscheu hervorrief. Und die Empörung schlägt unter den Katholiken Frankreichs auch weiterhin hohe Wellen. Ein Großteil forderte unlängst den Rücktritt des gesamten Episkopats.

Eine „Ausschließlichkeit für Gott“ und sexuelle Perversionen

Die Doppelmoral der römischen Kirchenhierarchie

„Ihr ganzes Leben steht in der Berührung mit dem göttlichen Geheimnis und verlangt so eine Ausschließlichkeit für Gott…“

So Papst emeritus Benedikt XVI. über die katholischen Priester der lateinischen Kirche (siehe: Das katholische Priestertum, 2020).

In meinem gerade erschienenen, 2-teiligen Beitrag „Klerikale Narrenspiele…“ ging ich auf Textpassagen des genannten Benedikt-Aufsatzes ein. Es ist für mich und für viele Gläubige schlicht unvorstellbar, wie die Päpste und viele andere „hohe“ Kleriker in diesen Zwangs-Zölibat für ihre Priester verbissen sind, besessen von dem Wahn, das „Heil der Welt“ liege in der Ehelosigkeit. Vordergründig.

Nur – die verordnete Ehelosigkeit ist kein Garant für die „Heiligkeit“ der Geistlichen.

Sie ist kein Garant für ihre unverfälschte Hingabe an das „göttliche Geheimnis.“

Sondern sie fördert das Streben der Hierarchie nach Macht. Nach Macht über ihre Priester, die diese, wenn sie nicht stark genug sind, dann weitergeben.

Und sie ist ein Fluch. Und eine Schande.

Es ist eine Schande, gläubige, ernsthafte, verheiratete Männer, die sich berufen fühlen, nicht zu weihen. Es ist eine Schande, seelisch gesunde, anständige Männer, die keinen perversen Gelüsten huldigen, Männer, die gottverbunden sind, nicht zu weihen. Weil sie nicht ehelos leben. Weil sie die Liebe zu Christus mit ihrer Frau teilen. Nur – die Liebe, die man verschenkt, wird nicht weniger und nimmt dem anderen nichts weg.

Das Priestertum verlange „eine Ausschließlichkeit für Gott … die eine andere, das ganze Leben umgreifende Bindung wie die Ehe neben sich ausschließt“ (Benedikt XVI.).

Aber sexuelle Perversitäten ihrer Priester schließt sie nicht aus

Perversitäten einer ganzen Reihe von feigen, abnormalen, heuchlerischen Priestern (zum Glück gibt es auch noch die anderen).

Die sich unter dem Deckmantel des auferlegten Zölibats lange Zeit ganz gut einrichten und verstecken konnten. Der ihrer Anomalie einen gewissen Schutz gewährte.

Übrigens wurde dieser Mgr Santier von Papst Johannes Paul II. zum Bischof erwählt und von Benedikt XVI. später zum Bischof von Creteil ernannt…

Doch Santiers Liebe für das „göttliche Geheimnis“ war offensichtlich nicht ausgeprägt, war zu schwach. Es mangelte ihm eindeutig an einer tiefen Verbindung zu Christus. Und – es mangelte ihm noch an etwas ganz Entscheidendem: an der Ehrfurcht vor Gott. Vor Gott und dem Menschen. Ohne diese Ehrfurcht aber kann er als Priester seinen Dienst quittieren.

In meinen Kinderjahren lehrte mich mein Vater bei der Vermittlung des Glaubens dieses Wesentliche: Ehrfurcht. Die Ehrfurcht vor Gott. Die die Ehrfurcht vor der Schöpfung und dem Menschen mit einschließt.

Unverständlich für die aktiven Katholiken Frankreichs ist die Tatsache, dass Bischof Santier nach einem solchen Frevel weiterhin Messen und andere Gottesdienste feiern darf. Und selbst noch nicht einmal die Scham, die Sensibilität und das Niveau besitzt, davon Abstand zu nehmen. Unverständlich auch, dass er heute Seelsorger für eine Gemeinschaft von Ordensfrauen ist. So titelte La Croix, die gewichtigste römisch-katholische Tageszeitung Frankreichs: „Fälle Santier und Ricard: Bischöfe beim Treffen mit wütenden Gläubigen“ (14.11.2022).

Wenn aber in gleichnamigem Journal der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz, Moulin-Beaufort, sagt, dass auch die Weihe nicht davor hindere…, „…Fehler zu begehen“, muss ich feststellen, dass die Bischöfe noch immer nichts begreifen. Ich sehe in diesen Schandtaten keine Fehler, sondern Schuld. Schwere Schuld. Und Widerwärtigkeiten.

Die Redakteure von GOLIAS machen in diesem Zusammenhang auf eine Konsequenz aufmerksam, die für Bischof Santier mehr als nur angemessen wäre: die Exkommunikation. Eine Konsequenz, die man eher in einem traditionalistischen Journal vermutet hätte. Noch vor einigen Jahren, schreiben sie, hätte „eine solche Sünde gegen den Heiligen Geist zur Exkommunikation ihres Urhebers“ geführt.

Denn „Wer aber gegen den Heiligen Geist lästern wird, hat keine Vergebung in Ewigkeit, sondern ist ewiger Sünde schuldig“ (Mk 3,29; Mt 12,31–32).

Literatur

„Affaire Santier : effeuillage devant le Saint Sacrement“, Golias, 26-10-2022

Fall Santier: Strippen (Entblößen) vor dem Allerheiligsten, Golias, 26.10. 2022

„Ein reuiger Bischof und vertuschte Striptease-Beichten: Die katholische Kirche in Frankreich wird das Thema Missbrauch nicht los“, NZZ, 09.11.2022

Anmerkung

Was mir orthodoxe Christen, die ich kenne, bestätigten:

Orthodoxe Bischöfe bevorzugen eindeutig verheiratete Priester.

Einer der Gründe dafür liege in der Vermeidung von „Unzucht,“ der, nach der Erfahrung der orthodoxen Geistlichkeit, durch eine Ehe besser vorgebeugt würde. Wie es Paulus im 1. Korintherbrief schreibt: „Aber um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen Mann“ (1 Kor 7,2). Zudem seien Verheiratete häufig die besseren Priester und Seelsorger.

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