StartAllgemein"Der Aussätzige müßte heute eigentlich 135 Euro Strafe zahlen..."

“Der Aussätzige müßte heute eigentlich 135 Euro Strafe zahlen…”

(www.conservo.wordpress.com)

Von Juliana Bauer *)

Ungewöhnliche Corona-Predigt des Pariser Erzbischofs Aupetit: „Aber was ist mit unserer Brüderlichkeit?“

Aupetit spielt in Predigt auf Corona-Regeln an:

„Es tut mir leid, das zu sagen, aber dieser Aussätzige, von dem im Evangelium die Rede ist, müsste eigentlich 135 Euro zahlen. Und das wäre ganz legal.“

Der Schwerpunkt von Michel Aupetits Predigt (am vorletzten Sonntag) lag wieder auf dem Evangelium, mit einem Abstecher zur ersten Lesung und damit zum Alten Testament. Anschaulich arbeitete er für seine Zuhörer den Unterschied im Verständnis zu Menschen mit ansteckenden Krankheiten heraus, wie er in den beiden Schrifttexten gegenüber Aussätzigen zutage tritt und vom damaligen Verständnis für diese Kranken zeugt. Gleichzeitig zeigte er sehr illustrativ das völlig andere Verständnis Jesu auf und schaffte, nicht zuletzt durch dessen Heilsbotschaft, wieder eine Verbindung zum Jetzt und Heute.

Aupetit spielte in seiner Predigt durchaus spitzzüngig auf Corona-Regeln an: „Es tut mir leid, das zu sagen, aber dieser Aussätzige, von dem im Evangelium die Rede ist, müsste eigentlich 135 Euro zahlen. Und das wäre ganz legal.“

Das katholische Nachrichten-Portal kath.net berichtet:

Paris (kath.net) Der Schwerpunkt der Predigt des Pariser Erzbischofs (und Arztes) Michel Aupetit am 14. Februar in Saint-Germain-l’Auxerrois liegt wieder auf dem Evangelium, mit einem Abstecher zur ersten Lesung und damit zum Alten Testament. Anschaulich arbeitet er für seine Zuhörer den Unterschied im Verständnis zu Menschen mit ansteckenden Krankheiten heraus, wie er in den beiden Schrifttexten gegenüber Aussätzigen zutage tritt und vom damaligen Verständnis für diese Kranken zeugt.

Gleichzeitig zeigt er sehr illustrativ das völlig andere Verständnis Jesu auf und schafft, nicht zuletzt durch dessen Heilsbotschaft, wieder eine Verbindung zum Jetzt und Heute. (Der Beitrag bezieht sich auf folgende Lesungen: Lev. (3.Buch Mose) 13,1-2.45-46: zum Umgang mit Aussätzigen im alten Judentum (vgl. auch Antike und Mittelalter), Mk 1,40-45: Jesus heilt den Aussätzigen Predigt des Erzbischofs von Paris, Michel Aupetit am 14.Februar 2021 in Saint-Germain-l’Auxerrois, Paris – Unter Einbeziehung von Predigtauszügen zu Sankt Franziskus von Assisi am 4. Oktober 2020, die thematisch der aktuellen Predigt zuzuordnen sind)

Seine ersten Worte, mit denen er auf die Bußgeldsumme in Frankreich anspielt, die dort bei Nichtbeachtung der Corona-Regeln über die Bürger verhängt wird, lassen eine subtile, fast ein wenig bissige Ironie heraushören: „Es tut mir leid, das zu sagen, aber dieser Aussätzige, von dem im Evangelium die Rede ist, müsste eigentlich 135 Euro zahlen. Und das wäre ganz legal.“ Steckt in diesen Worten nicht auch eine Kritik an dieser Strafpraxis? „Aber ja,“ meint Erzbischof Aupetit dann, immer noch in dem fein-ironischen Unterton. „er respektiert keine Barrieren! Auch zu den Zeiten Jesu gab es Grenzen, ihr habt es in der ersten Lesung gehört; ich zitiere es: ‚Der Aussätzige muss seinen Zustand signalisieren und rufen: Unrein, unrein! und er muss abseits bleiben.‘ Er darf sich den anderen nicht nähern. Heute halten wir den Abstand ein, aber wir müssen uns nicht mehr mit durchlöcherten Kleidern zu erkennen geben und Covid, Covid! schreien.“ An dieser Stelle sei an die jahrtausendealte Praxis erinnert, wie sie noch weit über das Mittelalter hinaus Gültigkeit hatte: die Leprösen und andere Aussätzige mussten sich durch hölzerne Klappern bemerkbar machen, um die übrige Bevölkerung auf Distanz zu halten und so zu schützen.

„Dieser Aussätzige geht nun zu Jesus“, erläutert der Erzbischof weiter, „fällt auf die Knie, ohne ‘unrein, unrein‘ zu rufen. Und er sagt: ‚Wenn du es willst, kannst du mich rein machen.‘ So, wie ich es immer höre, … hätte ich eigentlich erwartet, dass Jesus von ihm 135 Euro verlangen würde, natürlich in der damaligen Währung.“ Auch hier ist sie wieder, diese feine Spitze. „Stattdessen brach auch Jesus das Gesetz, indem er den Aussätzigen berührte – und ihn heilte.

Was heißt das also? Der Aussätzige zeigt, wie mir scheint, einen Akt des Glaubens. Und das erklärt die Gestik, die Reaktion Jesu. Das bedeutet, dass der Glaube wichtiger ist als das Gesetz. Und es tut mir leid, dass ich unseren Innenminister mit dieser Sache verärgern muss – “ Mgr Aupetits feinsinnige Ironie führt die nicht nur in Frankreich geltenden, oft übertriebenen Maßnahmen nahezu ad absurdum. „Aber wir müssen auch zugeben, dass das Gesetz schützt, während der Glaube heilt und rettet. Jesus ist gekommen, um zu retten. Und das Gesetz ist da, um zu schützen.“ Der Erzbischof stellt sich letztlich nicht außerhalb der zivilen Regeln, weist dann aber auf das weit Höhere, das dem Menschen seinen Lebenssinn verleiht.

„Wir sagen, dass der Aussätzige unrein ist … der Aussatz entstellt ihn und in jener Zeit glaubte man, sei das ein Zeichen für unsere Sünden, da wir durch unsere Sünden das Angesicht Gottes verunstalten…

Der Aussätzige ist unrein, so wie der Kranke, der mit Covid infiziert ist, ansteckend ist. Wenn jemand einen Aussätzigen berührt, wird er nach dem jüdischen Gesetz unrein. Und Jesus berührt den Leprakranken. Also wird Jesus (nach dem Gesetz) nicht nur unrein, weil er ihn berührt, er macht den Aussätzigen (umgekehrt) auch rein. Jesus wird nicht mit Lepra infiziert, er aber „steckt” den Aussätzigen mit seiner Reinheit „an.“

Wir verstehen nun wohl den Sinn, was das bedeutet: Jesus wird durch unsere Sünden nicht besudelt, er wird nicht durch unsere Sünden verunstaltet. Selbst wenn unsere Sünden ihn ans Kreuz bringen, wo sein Antlitz lädiert, bespuckt und verletzt wird…, die Sünde verunstaltet ihn, den Sohn Gottes, nicht. Unsere Sünden sind nicht ansteckend, jedoch lässt uns umgekehrt die Heiligkeit Jesu heilig werden…

Evangelium und Auslegung lassen sich aus einer früheren Predigt von Michel Aupetit noch tiefer erschließen, gerade auch mit Blick auf die gegenwärtige Gesundheits- und Gesellschafts-Krise und die darin geforderte Nächstenliebe im urchristlichen Sinn. In seiner Homilie vom 4.Oktober 2020, dem Tag des Heiligen Franziskus von Assisi, wandte sich der Erzbischof, ausgehend vom Leben des Heiligen, für einige Momente dem Thema zu und erinnerte die in Saint Germain und an den Bildschirmen versammelten Gläubigen mit Begeisterung an das Vorbild des Heiligen. „Er war ein außergewöhnlicher Mensch! Ihr wisst von seiner großen, seiner bedeutenden Geste. Er zögerte nicht, einen Aussätzigen zu umarmen. Das ist verrückt! Er ist verrückt!“

Michel Aupetit redet den Leuten schmunzelnd nach dem Mund, so, wie sie ein solches Verhalten kommentieren würden. Dann zieht er die Verbindung zu unserer Zeit und stellt die ansteckende Krankheit des damals weit verbreiteten Aussatzes der heutigen Infektionskrankheit gegenüber. „Und wir? Wir sind angehalten, eine Maske zu tragen…, es zu vermeiden, unsere Brüder, unsere Lieben zu umarmen. Wenn sie mit einer ‚Kontaktperson‘ am selben Ort waren, wo sich ein möglicher Covid-Kranker befand, sollen wir sie nicht küssen. Und er (Franziskus), er küsst einen Leprösen. Aber dieser Mann ist verrückt…! Früher bewunderten wir diese Geste… Und nun? … Was machen wir? Wir schauen, dass wir uns schützen… es wäre für euch interessant, die Lebensgeschichte von Franziskus zu lesen…“ Mgr Aupetit verweist auf das von Christus getragene Verständnis des Heiligen, in jedem Mitmenschen seinen Bruder und seine Schwester zu sehen und fragt schließlich: „…Aber was ist mit unserer Brüderlichkeit? Wenn wir uns nur voreinander schützen…“

Der Erzbischof legt den Finger in die Wunde unserer Gesellschaft, der französischen, wie der italienischen, wie der deutschen… Und wenn er bereits Monate zuvor mehrfach die fehlende Zuwendung für die Mitmenschen, die fehlende Zärtlichkeit gerade Kindern, alten Menschen, Kranken gegenüber anprangerte (Homélie 19 avril 2020, Twitter 23.April 2020), so mahnt er hier auf liebevolle Weise und unseren Blick auf einen der größten Heiligen der Nächstenliebe lenkend unser wahres Christ-Sein in der Corona-Krise an (erinnert sei hier an sein eigenes Engagement und an seine großen Hilfsinitiativen in Paris).

Er mahnt Nächstenliebe an, ohne uns jedoch zum Leichtsinn zu verführen oder gar selbst bestimmte Regeln nicht beachten zu wollen. „Ich sage allerdings nicht, dass ihr nicht vorsichtig sein sollt. Ich sage immer, dass wir aufpassen sollen… Aber, weil einer dem anderen misstraut, töten wir die Brüderlichkeit…“

Jesus infiziert sich nicht mit dem Aussatz, betont Michel Aupetit. Er zeigt keine Berührungsängste, sondern er heilt den kranken Menschen (Mk 1,40-45). Dennoch ist die Heilung des Körpers nicht alles für ihn – der Erzbischof arbeitet Jesu Sendung klar heraus: „Wenn Jesus den Aussätzigen dann bittet, es niemandem zu sagen, dann deshalb, damit die Leute ihn nicht für einen einfachen Arzt oder Heiler halten… Die Leute sehen seine Wunder-Heilungen … manche stellen sich gegen ihn… Er weiß auch, dass das Volk nicht glauben wird, dass er der Erlöser ist… Erst nach seiner Auferstehung, die seinen Sieg nicht über Krankheiten, sondern über den Tod kündet, werden die Völker verstehen, dass er Gott, der Erlöser ist. Jesus bittet den Aussätzigen, sich dem Priester zu zeigen, wie es das Gesetz verlangt. Damit will er signalisieren, dass das Gesetz seit jeher geschaffen wurde, das Heil zu verkünden, das er bringen würde…

Ihr seht, das göttliche Gesetz schützt nicht wie das Zivilgesetz… Aber auch das göttliche Gesetz schützt uns, z.B. durch die Zehn Gebote (Erzbischof Aupetit zählt sie auf). Sie sind dazu da, um dem Menschen zu helfen, in der Gemeinschaft zu leben. Das göttliche Gesetz schützt jedoch nicht nur. Es enthält die ersten Verordnungen, die von Gott gegeben sind…“ Mgr Aupetit stellt den Zuhörern die Vollmacht vor Augen, die am Beginn der Gesetzesworte Gottes aufscheinen: „Ich bin der Herr, dein Gott… Das ist das, was im Gesetz zählt, es ist fundamental, denn es gründet sich zuallererst auf die Beziehung zu Gott, den uns Christus verkündet… Das Gesetz (Gottes) ist nicht nur da, uns zu schützen, es bereitet uns auf das Heil vor.

Jesus ist gekommen, um alle zu läutern, er ist gekommen, um alle zu retten. Es geht also nicht mehr um Krankheiten, die unrein machen und uns unwürdig für Gott werden lassen. Es gibt kein verbotenes Fleisch mehr wie das Schweinefleisch! Es gibt selbst keine Sünden mehr, die nicht vergeben werden können…

Die Menschheit ist durch Christus gerettet, Brüder und Schwestern, das heißt sie ist befreit von allem, was der Gnade des Herrn im Wege steht. Jetzt genügt es für jeden von uns, der Liebe Gottes zu entsprechen, die uns durch den Heiligen Geist gegeben wird, den Jesus uns von seinem Vater aus sendet.

Ja, Brüder und Schwestern! Das Christentum ist die Religion der Befreiung des Menschen, der Befreiung durch Gott selbst. Wir müssen ihn nur aufnehmen.“

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Übersetzung für kath.net: Dr. Juliana Bauer (https://www.kath.net/news/74407 )
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Dr. Juliana Bauer, die Autorin dieses Artikels, über sich: „Ich bin keine Theologin, sondern Kunst- und Kulturhistorikerin, aber eine, die mit der Bibel von Kindheit an vertraut ist und den Worten eines meiner Lehrer, eines ehemaligen Ordinarius des kunsthistorischen Instituts der Universität Freiburg/Br. Rechnung trägt: „Ein Kunsthistoriker des Abendlandes muss bibelfest sein.“ Auch bin ich, in einem ökumenischen Haus aufgewachsen, mit der katholischen wie der evangelischen Kirche gleichermaßen vertraut.“
www.conservo.wordpress.com     22.02.2021

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