Von BrigGen a.D. Dieter Farwick und Publizist
In meinen letzten Berichten über Gegenwart und Zukunft der Weltmächte habe ich versucht, die Chancen und Risiken der weiteren Entwicklungen dieser Mächte zu untersuchen.
Die EU habe ich nicht betrachtet, weil die zerstrittene Union in meinen Augen keine Großmacht ist – und in absehbarer Zeit auch nicht sein wird.
Sie ist und wird nicht in der Lage sein, für die wichtige Migrationspolitik eine vernünftige, gemeinsame Gesamtstrategie zu entwickeln – und durchzusetzen. Das wird in absehbarer Zukunft aufgrund unterschiedlicher Interessen und wirtschaftlicher Fähigkeiten nicht möglich sein.
Zudem fehlt es an strategischer Weitsicht und zukunftsgerichteten Projekten. Es fehlt an gesamtstrategischer Führung. Europa ist in zukunftsrelevanten Politikfeldern abgehängt.
Die EU und Russland sind auf absehbare Zeit keine „Global Player“.
Die Krise in China geht weiter
Markantes Beispiel für die Fortsetzung der allgemeinen Krise in China ist der angeschlagene, hochverschuldete Immobilienriese Evergrande, der von der Regierung keine messbare Unterstützung erhält. Im Gegenteil: Die Regierung zwingt ihn Millionen bereits fertiggestellte Wohnungen, die er illegal gebaut hat, niederzureißen.
Es ist nicht bekannt, wie viele Mieter und Eigentümer es bereits gibt, die ihre Anzahlungen zurückfordern.
Diese Situation bedeutet einen schweren Rückschlag für Evergrande und andere Bauunternehmen, die dem Beispiel von Evergrande gefolgt sind.
Xi Jinping geht es um die großen, superreichen Konzerne in China, die ihm politisch gefährlich geworden sind – und es noch werden. Die sozialen Folgen für betroffene Eigentümer und Mieter, die es schwer haben werden, bezahlbaren Ersatz zu finden, belasten das Vertrauen in die Führung.
Die Olympischen Spiele stehen vor der Tür. Es ist eine wichtige Frage für Peking, ob noch weitere „diplomatische Boykotte“ erfolgen, die die Durchführung der Spiele gefährden können- China hat weltweit wenig Verbündete, die helfen können.
Die nächste Frage wird sein, ob China Protestaktionen in den Sportstätten verhindern kann, die in die Fernsehwelt gesendet werden können – über TV, Radio und Printmedien. Die hohe Zahl von Internetnutzern erschwert die Kontrolle von privaten Internetnutzern. Mit aggressiven Gegenmaßnahmen schadet Chinas seinem Bemühen , als „Soft Power“ anerkannt zu werden.
Die „alten Sorgen“ bleiben. Von den rund 10 Millionen muslimischer Uiguren im Westen Chinas „lebt“ ständig rund 1 Million in sogenannten „Umerziehungslagern“, die an den GULAG der ehemaligen Sowjetunion erinnern,
Als weiteres Übel für die chinesische Bevölkerung ist die rigorose „Sieben-Tage-Totalüberwachung“ mit “Gesichts- und Bewegungserkennung“, deren Ergebnisse in ein persönliches Punktesystem fließen, das über „Wohl“ und „Wehe“ für jeden einzelnen Menschen entscheidet – beruflich und privat. So sind Reiseverbote oder -einschränkungen eine probate Folge.
Solange die Mehrheit der Bevölkerung ein persönliches Weiterkommen erfährt, werden die Maßnahmen der Unterdrückung „ hingenommen“.
Aber was geschieht, wenn dieser „Vertrag“ von der Regierung nicht mehr erfüllt wird?
Es würde ein anderes China entstehen, das viele Fragen existentieller Bedeutung beantworten muss.
Sollte die „Weltmacht China“ wirtschaftlich und politisch kollabieren, würde dies weltweite tektonische Verschiebungen zur Folge haben.
Das fragile Gleichgewicht der Kräfte würde einer gefährlichen Instabilität weichen. Diese Instabilität könnte neue „Mittelmächte“ – wie Iran oder die Türkei – ermuntern, sich an dem Spiel der „Großen“ aktiv zu beteiligen, um eigene Interessen durchzusetzen.
Die aggressive Politik Chinas gegenüber Taiwan ist gefährlich.
China hat wiederholt massiv gedroht, die in seinen Augen abtrünnige Provinz wieder in „Festland China“ zu integrieren – wenn es sein muss auch mit militärischer Gewalt.
Die Schutzmacht USA haben über Jahre Taiwan militärisch aufgerüstet. Sie haben eine kluge Bündnispolitik vollzogen, die ihr Einhegen Chinas stärken. Im Gegensatz zu China haben die USA starke Verbündete von Japan über Indien bis nach Australien.
China muss davon ausgehen, dass die USA und starke Verbündete einen Angriff Chinas auf Taiwan gemeinsam zurückschlagen würden.
Beide Staaten – China und USA haben diplomatische Avancen gemacht, Gespräche über ein Krisenmanagement über Spannungen zwischen ihnen zu führen.
Sie brauchen einen neutralen Boden, der von kleineren Mächten angeboten werden könnte – selbst wenn es ein Flugzeugträger in neutralen Gewässern ist.
Welche Politik wählen die USA mit Blick auf China ?
Für die neue amerikanische Regierung ist China der einzige Staat, der ein ernstzunehmender Rivale für die USA auf dem Wege zur Weltmacht ist.
Als Vizepräident unter Obama hat Joe Biden viele Jahre Erfahrungen im Umgang mit China sammeln können – mit starker Hilfe von Anthony Blinken und Jake Sullivan.
Es ist ein gutes Zeichen für die neue amerikanische Regierung, dass Anthony Blinken als Außenminister und Jake Sullivan als Nationaler Sicherheitsberater die wichtigsten Berater von Joe Biden sind, weil sie über klare Auffassungen zu China verfügen.
Für sie ist China der einzige weltweite Rivale für die USA. Ihre Sprache ist klar und hart gegenüber China.
Kamala Harris ist im Tagesgeschäft nicht Teil des Führungstrios. Sie ist die gewählte Vizepräsidentin – einen Wimperschlag entfernt von dem Stuhl des Präsidenten. Ich habe mir die Mühe gemacht , ihr Buch „Zur Wahrheit verpflichtet“ zu lesen.
Für die Aufgabe, die sie im Falle eines Falles übernehmen muss, ist das Buch eine Enttäuschung. Für die Aufgabe einer Präsidenten ist sie schlecht vorbereitet. Sie würde in sehr kaltes Wasser geworfen. In ihrem Buch beschreibt sie ihren harten Aufstieg zur Senatorin und zur Vizepräsidentin. Sie bezeichnet sich als soziale und linke Politikerin, die aus einer Familie stammt, die sehr stark von ihrer Mutter geführt wurde.
Kamala Harris bezeichnet sich als „Schwarze“, obwohl sie keine „Schwarze“ ist, denn sie ist Jamaikanerin, was von etlichen „Schwarzen“ der Bewegung „Black Lives Matter“ als Anbiederung und Etikettenschwindel kritisiert wird.
Mich hat überrascht, dass sie an wichtigen Besprechungen nicht teilnimmt. Sie hat nur einen kleinen persönlichen Stab, in dem es offenkundig persönliche Spannungen gibt. Etliche Mitarbeiter ihres Stabes haben bereits gekündigt. Beklagt wird der persönliche Führungsstil von Kamala Harris und ihrer Stabschefin Flournay, die als „Drachen“ bezeichnet wird. Kamala Harris bekommt keinen Rückenwind durch den Präsidenten, dessen Ansehen in der Bevölkerung abnimmt. Gegenwind erhält er von der Fraktion der Demokraten, die manche gutgemeinten Projekte des eigenen Präsidenten scheitern lassen – an der Spitze der Senator Manchin.
Aktuell ist in den USA die Mehrheit der Bevölkerung unzufrieden mit der Regierung Biden/ Harris. Diese Tatsache wirkt sich auf die persönlichen Werte von Biden und Harris aus,
Der überraschende Sieg des Republikaners Youngkin in Virginia ist kein gutes Omen für die Demokraten und deren Chancen in den Mid-Term-Elections im November diesen Jahres.
Bei den Republikanern hat der Ex-Präsident Donald Trump seine Position gefestigt und in manchen Bundesstaaten sogar ausgebaut – siehe Virginia.
Seine harte Einstellung zu China engt den Spielraum des Präsidenten und seiner beiden Berater Blinken und Sullivan stark ein.
Es kann sein, dass die temporäre Schwächeperiode Chinas die Chancen der USA in dem Kampf um die Weltherrschaft verbessert.
Aber es wäre ein großer politischen Fehler der amerikanischen Führung, die momentane Schwächung Chinas über Gebühr auszunutzen..
Der Kampf um die Weltherrschaft
Er wird weitergehen. Zur Zeit haben die USA die Nase vorn, aber das muss nicht von Dauer sein.
Wenn die aktuellen Konflikte eingedämmt werden können, wäre schon viel erreicht. Ein heißer Konflikt wird mehr Verlierer als Gewinner zeitigen.
Eine gegenseitige wirkungsvolle, glaubwürdige Abschreckung ist die Voraussetzung für eine notwendige Abkühlung der globalen Konflikte. Der Preis für militärische Abenteuer muss hoch gehalten werden.
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