Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist
In seinen 23 Jahren an der Spitze Russland hat er ein Ziel vor Augen: Die Rückkehr Russlands auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten und China. Diesem Ziel ordnet er alles unter.
Der Westen wollte ihn nicht ernst nehmen, Die größte Demütigung kam vom amerikanischen Präsidenten Barack Obama, der Russland als „ regionale Macht“ einstufte.
Seine Fehleinschätzung hätte der Westen spätestens 2007 korrigieren müssen – nach der Rede von Putin auf der Münchner Sicherheitskonferenz, die ich persönlich erlebt habe. Er gab sich eiskalt und verkündete der Tyrann, dass Russland jegliche Form der Zusammenarbeit mit dem Westen beenden würde, weil dieser die seriösen Vorschläge Russlands für die Zukunft nicht ernsthaft beachtet habe Eine eiskalte Dusche. Die Temperaturen im Prunksaal des „Bayerischen Hofes“ sanken beträchtlich. Ich war überrascht von dem schwachen Echo in den Medien. Schließlich war es der Beginn einer neuen Eiszeit zwischen dem Westen und Putin – Russland.
Putin und Russland wurden im Westen unterschätzt. Das rächt sich bis heute.
Die völkerrechtswidrige Annexion der Halbinsel Krim im Jahre 2014 wurde in erfolglosen Verhandlungen zu den Akten gelegt.
Der Westen sonnte sich im Gefühl der Überlegenheit, Putin modernisierte seine Streitkräfte.
Im Westen war Entspannung angesagt. Die NATO- Staaten gestatteten sich eine „ Friedensdividende“ – eine deutliche Reduzierung ihrer Streitkräfte und der sicherheispolitischen „Wachsamkeit“.
Die Rechnung präsentierte Putin dem Westen im November 2021 durch den Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine und den anschließenden Einmarsch in die Ukraine.
Das Ziel war ein flotter Durchmarsch durch die Ukraine und Besetzung der Hauptstadt Kiew, um die dortige Regierung durch eine von Moskau gesteuerte Marionettenregierung von Putins Gnaden. zu ersetzen.
Er hatte die ukrainischen Streitkräfte und den Behauptungswillen des „Brudervolkes“ schwer unterschätzt. Seine Anfangserfolge blieben im Schlamm und durch die mangelnde Qualität der russischen Streitkräfte verlangsamt und zum Stehen gebracht.
Diesen Widerstand wollte Putin mit allen Mitteln brechen.
Er verschärfte seine Angriffswucht mit flächendeckenden Operationen gegen Büro- und Wohnhäuser. Dabei nahm er den Tod tausender Soldaten und zivilen Einwohnern in Kauf.
Er forcierte seine hybride Kriegsführung, die durch den mehrstündigen Beschuss des größten Atomkraftwerkes Europas gekennzeichnet wurde. Wie durch ein Wunder wurde kein Reaktor zerstört – die Katastrophe von Tschernobyl wurde nicht wiederholt.
Dennoch – die jahrelange Verbesserung der personellen und materiellen Gefechtsbereitschaft der russischen Streitkäfte hat sich offenkundig nicht ausgezahlt.
Die Motivation der russischen Streitkräfte blieb unterentwickelt. Ihnen wurde von der Führung in die Irre geführt. Sie wurden getäuscht über das Ziel ihrer „militärischen Friedensoperation“. Sie wähnten sich auf einem Marsch in ein Manöver. Der Begriff „Krieg“ durfte nicht benutzt werden – auch nicht in den Medien. Aber als den jungen Soldaten die Kugeln um die Ohren flogen. Tendierte ihre Einsatzbereitschaft gegen Null.
Ein schwerer Fehler der Führung kam hinzu. Russland wollte mit rund 100.000 Soldaten den Angriff aus drei Richtungen über große Entfernungen führen. Das hat nicht geklappt. Es fehlte den russischen Kräften an der „Kampfmoral“ Die ukrainischen Streitkräfte wurden durch die zivilen „Unterstützungskräfte“ mit hoher Moral unterstützt.
Eine Zwischenbilanz
Die meisten westlichen Staaten wurden aus dem politischen Tiefschlaf gerissen.
Der deutsche Heeresinspekteur musste den Offenbarungseid leisten. Das deutsche Heer bezeichnete er als „ blank“ und nicht verteidigungsbereit.
Was hat er in den letzten Jahren getan, um diesen unhaltbaren Zustand zu verbessern ?
War der politischen Führung dieser Zustand bekannt?
Es wäre eine große Blamage für das deutsche Heer. Hochglanzbroschüren mit neuen Begriffen ersetzen keine „kriegsnahe“ Ausbildung und keine Truppenübungen im Gelände.
Zum Glück für Deutschland konnte die Bundeswehr eine „Trendwende“ vollziehen.
Spät, aber nicht zu spät, fand in Deutschland für die Bundeswehr ein „Umdenken“ statt.
Aus einer „Friedensarmee“ soll eine Armee entstehen, die Abschreckung und Verteidigung repräsentiert und als „verteidigungsbereit“ allseits anerkannt wird.
Diese „Operation am offenen Herzen“ bedarf einer gründlichen Untersuchung. Es darf keine Schnellschüsse geben, die teuer sind, aber an deren Qualität schnell Zweifel wachsen.
Plötzlich stand die Bundeswehr, die seit Jahren überfordert und unterfinanziert ist, im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmersamkeit.
Die 100 Milliarden Sondervermögen wecken Begehrlichkeiten – auch in anderen Ministerien.
Es gab gute und schlechte Vorschläge.
Es sollte eine gemischte Prüfungskommission mit externen Experten, Beamten und Offizieren errichtet werden, die an der Fehlentwicklung der letzten Jahre keine Verantwortung tragen.
Einige Entscheidungen können schnell fallen:
- Re-aktivieren der Allgemeine Dienstpficht für Männer und Frauen – für die Bundeswehr und Pflegedienste.
- Eine neue BW-Struktur, die personell in vier Jahren beginnend bedarfsgerecht aufgebaut wird.
- Eine Erhöhung des Verteidigungshaushaltes auf die der NATO zugesagten 2 Prozent des Bruttosozialproduktes ab 1.1. 23 – nicht zulasten des Sondervermögens. Eine jährliche Erhöhung um 0.2 Prozent in 4,5 Jahren.
- Parlament und die Öffentlichkeit müssen zeitgerecht informiert werden.
- Deutschland muss im zweijährigen Rhythmus wieder Wintex-Übungen– in Anlehnung der früheren Wintex-Übungen – durchführen
Für die Zukunft
Deutschland braucht einen Nationalen Sicherheitsberater, der mit einem interdisziplinären Team permanent und systematisch weltweite sicherheitspolitische Entwicklungen erkennt und die Regierung regelmäßig informiert, um dieser pro-aktives Handeln zu ermöglichen.
Dieser Sicherheitsberater sollte an den wöchentlichen Kabinettssitzungen teilnehmen
Deutsche Botschafter sollten nach einem Anforderungsprofil der Regierung tätig werden.
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