Von Peter Helmes
Die neuen Gespräche zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul brachten nichts Neues: Die Aussichten auf eine Feuerpause sind weiterhin trüb. Putin will jetzt aus militärischen Gründen zunächst die beiden selbsternannten Volksrepubliken im Osten der Ukraine komplett unter Kontrolle bringen, um sie vom Rest des Landes abzuspalten. Die Ukraine in Ost und West zu trennen wie Korea und einst Deutschland, wäre ein Verbrechen. Aber Putin braucht irgendeinen ‚Sieg‘, um aus diesem Krieg herauszukommen. Eine Spaltung kann die Ukraine jedoch nicht akzeptieren.
Also auch nach „Istanbul“: Ein schneller Frieden in der Ukraine ist nach wie vor eher unwahrscheinlich. Selenskyj hat sich ja schon zu einer Neutralität seines Landes bereiterklärt. Aber was versteht Putin unter ‚Neutralität‘? Putin will keine Schweiz, kein Schweden oder kein Österreich vor der Haustür. Er will keinen Nachbarn – er will einen unterwürfigen Vasallen.
Es ist schwer abzusehen, ob Putin die von Erdogan präsentierte Chance zu einem ‚ehrenvollen‘ Abzug aus der Ukraine ergreifen wird. Der Kreml-Chef wird so schnell keinen Befehl zum Rückzug geben. Im Gegenteil: Er stellt Bedingungen, die unmöglich erfüllt werden können. So wird es aber nicht zu einem Waffenstillstand oder gar zu einem Frieden kommen. Die Verhandlungen werden sich also zunächst auf den Status des Donbass konzentrieren. Moskau spielt wieder auf Zeit.
Aber der sich dahinziehende Krieg schwächt Russland. Die Ukrainer erweisen sich als kämpferisch, und sie bekommen immer mehr Waffen aus den USA und Europa. Moskau hat den Westen zusammengeschweißt und sich selbst isoliert. Damit hatte Putin nicht gerechnet.
Und Selenskyj nutzt die Chance der neuen Gespräche zwischen Moskau und Kiew. Er verfolgt eine zweigleisige Strategie im Umgang mit Moskau. Einerseits erklärte er gegenüber russischen Journalisten, die Ukraine könne neutral sein und im Rahmen eines Friedensabkommens einen Kompromiss über den Status der östlichen Donbass-Region eingehen. Andererseits verhärtet er seine militärische Position, indem er mehr Panzer, Raketen und sogar Kampfjets von der Nato fordert. Selenskyj will so viel Souveränität und Autonomie wie irgend möglich sichern. Dabei verdient er unsere Unterstützung!
Der ukrainische Präsident wird so ein Vorbild für ein neues politisches Zeitalter. Der Unterschied zwischen ihm und dem Duo Scholz/Macron ist geradezu fundamental. Selenskyj gibt sich furchtlos, während sich Bundeskanzler Scholz und Frankreichs Präsident Macron in Moskau an Putins endlos langem Tisch dessen Version der Dinge anhören. Selenskyj hat Politikern wie Scholz und Macron vor Augen geführt, wie unbequem die neue Realität ist.
Putin ist zweifellos eine Tragödie für sein Land und die ganze Welt. Er sollte den Kreml verlassen und seine gerechte Strafe bekommen. Trotzdem dürfen andere Staatsführer nicht seinen Rücktritt fordern. Bidens Äußerungen sind unglücklich, weil sie zu einer Überreaktion Putins führen können und keinen Beitrag zu den ohnehin mühsamen Verhandlungen leisten. Vor allem aber darf der Westen nicht sein eigenes Wertegerüst untergraben; denn das internationale Recht basiert auf dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Bidens Rede, seine zu demonstrative gezeigte Selbstzufriedenheit und seine verfrühte Euphorie könnten die humanitäre Katastrophe in der Ukraine weiter verschärfen. Auch im Inland hat er keine Pluspunkte für sich und seine Partei sammeln können. Die Amerikaner haben nämlich die Realität vor Augen: Putin ist längst noch nicht gestoppt, die Ukrainer leiden weiter und die Preise steigen.
Das Drama in Osteuropa könnte in eine weitaus gefährlichere Phase eintreten, sollten die USA sich provozieren lassen. Der Westen scheint nur auf einen falschen Schachzug Moskaus zu warten, der als Rechtfertigung für eine militärische Reaktion des Westens dienen könnte. Das wäre aber das Ende jeden Friedens. Aber bisher haben die Amerikaner besonnen reagiert. So bleibt festzuhalten:
Der russische Präsident hat sich mit seinem Ukraine-Krieg völlig verspekuliert. Putins Einmarsch in die Ukraine war in erster Linie ein Verbrechen – und die Kriegsverbrechen dauern an. Aber er war auch ein Fehler. In weniger als fünf Wochen hat Putin die militärische Reputation Russlands zerstört, die Wirtschaft seines Landes ramponiert und die demokratischen Bündnisse gestärkt, die er zu untergraben hoffte.
Wie konnte er einen so katastrophalen Fehler begehen? Ein Teil der Antwort ist sicherlich das Strongman-Syndrom: Putin hat sich mit Leuten umgeben, die ihm sagen, was er hören will. Alles deutet darauf hin, daß er in dieses Debakel hineingeraten ist, weil er seiner eigenen Propaganda Glauben schenkte.
Von der Weltwirtschaft abgeschnitten
Putin kann jetzt tagtäglich das fatale Ergebnis seines mißratenen Kalküls studieren: Die russische Wirtschaft wird von der Weltwirtschaft abgeschnitten, alle Systeme des gegenseitigen Austauschs und der Versorgung werden gekappt. Europa wird sich schneller als gedacht von Russlands Gas unabhängiger machen. Die EU hat dafür bereits ein Abkommen mit den USA zur Lieferung von verflüssigtem Erdgas unterzeichnet. Dies nützt unmittelbar den USA, stärkt aber auch die transatlantischen Beziehungen, während Putin zunehmend in die Isolation gerät und weniger Mittel für seine Kriegsführung erhält.
Die Botschaft ist klar: Die USA und Europa rücken zusammen.
Der Zugang zu den wichtigsten Weltmärkten für Waren und Dienstleistungen wird verwehrt. Dies wird schwerwiegende Folgen für Russland haben. Weder die Regierung, noch die Zentralbank, noch die Wirtschaft, noch die Oligarchen, noch die Menschen waren darauf vorbereitet.
Die russische Regierung steht vor Herausforderungen beispiellosen Ausmaßes.
www.conservo.blog 30.3.2022
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