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“Übergriffiges Verhalten“ und Hexenjagden

Eine Antwort auf die verschiedenen Presse-Informationen zum TOD des Limburger Priesters CHRISTOF MAY

Von Dr. Juliana Bauer

Christof May. Foto: Bistum Limburg

Eines möchte ich zunächst einmal grundsätzlich klarstellen: Sexueller Missbrauch an Kindern, Jugendlichen u.a. Schutzbefohlenen ist ein Verbrechen, das hart zu bestrafen ist und dem massiv entgegengewirkt werden muss.

Dies gilt überall. Vor allem aber in der Familie sowie in schulischem und kirchlichem Umfeld, wo Kinder und Jugendliche Eltern und anderen Familienangehörigen sowie Pädagogen und Priestern besonderes Vertrauen entgegenbringen und wo gerade in letztgenanntem Ambiente Gott und Christus verkündet wird.

Nun ist immer wieder von Übergriffen und sexuellen Belästigungen in kirchlichem Bereich zu lesen. Man denke, aktuell, an den katholischen, inzwischen zurückgetretenen Bezirksdekan aus der Diözese Limburg, der hinsichtlich sexueller Übergriffe und Belästigungen an zwei jungen Frauen beschuldigt wurde. Doch der Keulenschlag für den Limburger Bischof Georg Bätzing kam nach Pfingsten: Dem Leiter seines Priesterseminars Christof May wurde – so ist in einigen Zeitungen zu lesen – „übergriffiges Verhalten“ vorgeworfen (Domradio, 10.06.22: Beliebter Seelsorger und “Vorwürfe übergriffigen Verhaltens”).

Übergriffiges Verhalten

Was aber ist es, das „übergriffige Verhalten?“

Die meisten Menschen verstehen darunter sexuelle Übergriffe unterschiedlicher Formen.

Doch gibt es nicht nur sexuell übergriffiges Verhalten. Auch allgemeine physische wie psychische Gewalt zählt dazu. So z.B. Mobbing. Nun gab es Mobbing schon vor 30, 40, 70 Jahren und mehr. Nur bezeichnete man dieses miese Verhalten einem Mitmenschen gegenüber nicht mit dem Softy-Wort Mobbing. Damals nannte man es ausdrucksstark „wegekeln, rausekeln“ (wobei die Übersetzung von to mob bedrängen, anpöbeln lautet). So z.B.: „Die Mitarbeiter ekelten den Peter raus. Sie machten ihn richtig fertig.“ Nicht von ungefähr beteten die französischen Bischöfe im März für die „Opfer von sexueller“, aber auch von „seelischer und geistlich-spiritueller Gewalt“, die Menschen, insbesondere Schutzbefohlene, durch kirchliche Mitarbeiter erlitten.

An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass bezüglich seelischer und oft auch körperlicher Gewalt ganze Generationen von Eltern, Pädagogen und Priestern schuldig wurden. Schläge, körperliche Misshandlungen und seelische Quälereien waren häufig an der Tagesordnung. Meine Frage jedoch ist die: Ist es heute besser? Ich sage: Nein. Manches wurde besser, doch insgesamt wandelten sich die Schikanen. Der unter Gewalt durchgedrückte Transgender-Kult stellt ein Beispiel für neue Gewalt und die Zerstörung von Kinderseelen dar.

Christof May – dem Vorwurf „übergriffiges Verhalten“ ausgesetzt

Das dem Priester Christof May vorgeworfene „übergriffige Verhalten“, das ihn offenbar verzweifeln ließ und zum Selbstmord trieb, muss genau untersucht werden. Erst dann wird man auch das Motiv des Suizids wissen und begreifen können: War es die nicht zu verkraftende Panik vor der nun beginnenden Hexenjagd oder war es die Schuld, der der Priester nicht ins Auge schauen konnte. Die Untersuchungen werden die vielen Fragen beleuchten und sie wohl auch klären können (was ich hoffe). Ich erinnere mich in diesem Augenblick an die Worte der ehemaligen Bischöfin Margot Käsmann bei ihrem Rücktritt: „Ich kann nicht tiefer fallen, als in Gottes Hand.“ Worte, die unglaublich trösten. Die aber dort ihre Gültigkeit haben, wo ich meine Schuld, meine mitunter große Schuld, erkenne und allen Ernstes das Ruder herumreiße und dann letztlich Gott vertrauen kann.

Übergriffe, sexuelle Übergriffe, Missbrauch im kirchlichen Ambiente und Hexenjagden

Limburgs Kirchenrichter Olaf Lindenberg thematisierte am Dreifaltigkeitssonntag den Tod von Christof May (katholisch.de, 12.06.22, Bild von beliebtem Priester May habe “tiefe Risse” bekommen).  Der „Vorwurf übergriffigen Verhaltens wiege schwer“, ein solcher Vorwurf würde „nicht leichtfertig erhoben“, waren seine Predigtworte. Und, betonte er weiter, den Betroffenen Gehör und Vertrauen zu schenken und Vorwürfe nicht beiseite zu schieben, sei richtig und unabdingbar.

Ja, das ist es. Denn so, wie es in der Vergangenheit war, kann und darf es keinesfalls weitergehen. „Demnach zeigten frühere Bistumsleiter, darunter auch Bischöfe, große Milde für Missbrauchstäter sowie ‚massives Leitungs- und Kontrollversagen‘ heißt es in einem Untersuchungsbericht zum sexuellen Missbrauch im Bistum Münster, eine Feststellung, die auch aus den Untersuchungsergebnissen anderer Diözesen bekannt ist (Domradio, 12.06.2022, Missbrauchsstudie für Bistum Münster kommt am Montag. Große Milde für Missbrauchstäter). Eine unfassbare Feststellung, die eine Schande für die Hierarchie der katholischen Kirche und einen nicht unerheblichen Teil des Klerus ist.

Mit Blick auf den toten Priester versuchte der Offizial in seiner Ansprache ebenso, wenn auch unkonkret, auf die Trauer um diesen einzugehen, die „Trauer um einen Menschen, um ein Leben, das aus der Bahn geriet und nicht mehr in die Spur fand und womöglich andere aus der Spur warf.” Dann folgte ein Satz, der die beginnende Hexenjagd erahnen ließ: „Das Bild, das sich viele Menschen von dem beliebten Priester und Regens gemacht hätten, habe ‚tiefe Risse‘ bekommen“ (katholisch.de, 12.06.22, s.o.).

Was ist die Wahrheit?

„Das Bild, das sich viele Menschen von dem beliebten Priester und Regens gemacht hätten, habe ‚tiefe Risse‘ bekommen.“

„Tiefe Risse.“ Bevor überhaupt auch nur ein einziges Wort aus dem „übergriffigen Verhalten“ bekannt ist. Ein einziges Wort, das ein kleines Licht auf den Vor-Wurf werfen kann.

Bevor Details bekannt sind.

Bevor erste Untersuchungsergebnisse vorliegen.

Sollten diese auf ein Nicht-Schuldig-Geworden-Sein des Mannes verweisen, dann wird es heißen: „Ach so! Des hänn mir nit g’wisst. Ach so war des… Ja, wer het dann dem Pfarrer welle an dr Karre fahre?“ (Der Hessen-Dialekt drückt dies natürlich etwas anders aus).

Was den Vorwurf der sexuellen Übergriffe betrifft, erzählt Michael van Laack das ihm bekannte und beredte Beispiel eines Priesters, der in die Mühlen von schweren Anschuldigungen geriet und Suizid beging – Anschuldigungen, die sich nach seinem Tod als Lügen und böse Rache zweier „Rotzbuben“, wie man in Freiburg sagt, herausstellten (Conservo, 10.Juni 2022, Michael van Laack, „Was in der Zeitung steht…“ – Der Suizid des Limburger Regens Christof May muss als Zäsur begriffen werden). Van Laack schildert die Vorgänge nach den Beschuldigungen, berichtet von – stillen – staatsanwaltlichen Ermittlungen – welche die Herren des Generalvikariats wohl übereifrig und sich unfehlbar wähnend unterbrachen – und spricht dann treffend davon, dass aus dem „Generalvikariat … Informationen über den Priester an Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand durchgestochen wurden. Eine sehr kurze innergemeindliche Hetzjagd begann, an deren Ende sein Freitod stand.“

Das „Durchstechen“ scheint heute, in engem Verbund mit Denunzierung und Vor-Verurteilung (Fallen-Lassen einer Person), eine übliche wie üble Methode im Dienste von Heuchelei und Feigheit zu sein. Leider auch in den Kirchen. Und vor allem dort, wo man besonders fromm sein will und sich moralisch unfehlbar glaubt. So kann die Hetzjagd gegen einen Beschuldigten beginnen, bevor die Anschuldigungen gründlich untersucht wurden und sich infolge der Untersuchung entweder als falsch herausstellen oder sich erhärten und bewahrheiten. Und dann harte Konsequenzen erfordern.

Paris: „Welcher Schlamm wurde gegen Mgr Aupetit geschleudert“ (tempi.it)

Ein Beispiel für dieses gnadenlose „Durchstechen“ stellt das Verhalten eines Teils des Pariser Klerus dem emeritierten Erzbischof von Paris, Michel Aupetit, gegenüber dar. Wobei es bei ihm in keinster Weise um übergriffige, strafbare Handlungen ging. Ihm wurde lediglich ein – vermeintliches –  Übertreten des Pflicht-Zölibats (mit einer erwachsenen Frau) vorgehalten und geahndet. Das vermutete Übertreten eines umstrittenen, einst – wie vielfältige kirchen-/historische Quellen bezeugen – mit Gewalt durchgepeitschten Kirchengesetzes. Eines Gesetzes, das alles andere als der Liebe Gottes entspricht. Die Methode aber, wie Journalisten und vor allem auch Mitbrüder gegen diesen, von unzähligen einfachen Gläubigen geliebten Bischof vorgingen, ist mit der oben angeführten Methode vergleichbar.

Dazu eine Skizzierung der Vorgänge laut mehreren Berichten:

Man findet 2020 im Pariser Generalvikariat eine (8 Jahre alte) Mail, adressiert an eine Frau, die angeblich von Mgr Aupetit stammt. Auf der, wie allgemein behauptet wird, zärtliche, aber nie konkret zitierte Worte stünden… „Brüder in Christus“, also Mitarbeiter und Kollegen im Klerikerstand, stellen ihren Bischof ob des „überraschenden Fundes“, verlangen eine Stellungnahme, setzen ihn unter Druck, halten Gericht über ihn.

Leiten die Mail dem französischen Nuntius (Vatikanvertreter) zu, der Meldung nach Rom macht. Sie, die sich rein und ohne Schuld wähnenden Mit-Brüder, erwarten/fordern den Rücktritt des Erzbischofs, den dieser wohl zunächst verspricht, dann aber verwirft. Ein gutes Jahr später wird Michel Aupetit dem Magazin Le Point ausgeliefert… Offenbar von Klerikern… Von neiderfüllten, eifersüchtigen, rachsüchtigen, feigen Klerikern…??? Le Point, nicht besser als die Verräter, macht die Vorwürfe öffentlich… Die Hatz beginnt…

Und Papa Francesco – auch er stand nicht an Michel Aupetits Seite. Er handelte nicht nach Jesu Wort an Petrus: „Du aber, stärke deine Brüder.“ Er ließ Michel Aupetit fallen, suchte den Sündenbock allein bei der „heuchlerischen“ Presse (um Mgr Aupetit dann zwei Monate später, als, wie man im Alemannischen sagt, „dr Märkt vrloffe isch = der Markt verlaufen/vorbei ist“, seiner Gunst zu versichern und ihn im Dikasterium der Bischöfe zu halten).

Und mit dem Nachfolger Petri zogen gleich andere nach bzw. gingen ihm sogar voraus. So z.B. katholische Journale. Unter ihnen besonders hervorstechend: die Redakteure eines ach so katholisch-fromm sein wollenden Internet-Journals. Die über zwei Jahre lang die von mir übersetzten Predigten Michel Aupetits mit Begeisterung publizierten, dann aber nach den allerersten, völlig unbestätigten Gerüchten jegliche weitere Predigt von ihm ablehnten. Nicht einmal seine letzte Predigt als amtierender Erzbischof, eine wunderbare Predigt über die Gaben des Heiligen Geistes, war es ihnen wert, ihren Lesern, die seine Predigten liebten, zu präsentieren. Stattdessen ließen sie Tage später Lesermeinungen eines Kommentarschreibers zu, der Mgr Aupetit erbärmlich in den Dreck zog und überdies mehrere abstruse Falschinformationen verbreitete. Zum Glück standen neben diesen abstoßenden Kommentaren auch jene von Lesern und Leserinnen, die sich sehr positiv über Michel Aupetit äußerten und ihn nicht verurteilten.

Vor diesem gesamten Hintergrund gewinnen jene, von mir bereits einmal zitierten Worte von Michel Aupetit, die er über seine Kirche schrieb, die jedoch nicht nur Klerikern, sondern ebenso den übereifrigen „Frommen“ gelten, nochmals an Gewicht:

Die Heuchelei ist die Gangrän der Kirche. Die Eifersucht/der Neid ihr ansteckender Virus. Die Feigheit ihre Immunschwäche.

Kommentarregeln: Bitte keine beleidigenden oder strafbaren Äußerungen. Seid nett zueinander. Das Leben ist hart genug.