StartChristentum, Hoffnung und Transzendenz„Weihnachten. Das Geheimnis der verwundbaren Liebe“

„Weihnachten. Das Geheimnis der verwundbaren Liebe“

Die noch immer aktuelle Predigt von Mgr Michel Aupetit vom 4. Adventssonntag 2018 in Notre Dame

Die Predigt ist vier Jahre alt. Dennoch büßt sie, wie nahezu alle Predigten Mgr Aupetits, an Aktualität nichts ein.

Katastrophale Entscheidungen werteloser Politiker und Politikerinnen wiederholen sich endlos, entsetzliche Ereignisse zerstören das menschliche Zusammenleben unserer verblendeten, oft pseudohumanen Gesellschaft. Zerstören den Menschen. Junge Menschen in ihrer Blüte. Rauben alten Menschen ihre Würde.

Zerstören den Menschen in den Momenten seiner größten Hilflosigkeit, am Anbeginn seines Lebens. In seiner größten Hinfälligkeit, bei Krankheit und Tod.

In diese Momente hinein sollen die Worte des Pariser Hirten Mut machen und Trost schenken.

„Der Herr hat mich berufen von Mutterleib an“

Michel Aupetit entfaltete seine Predigt über die Verletzbarkeit des Menschen, von der er den Bogen zum Fest der Geburt eines hilflosen Kindes, des Gottessohnes, schlug, am Evangelium des Sonntags, dem Lukasevangelium Kapitel 1, Vers 39-45 bzw. 56.

Als Ausgangspunkt wählte er einen kleinen Exkurs durch künstlerische Darstellungen des Themas:

„Das Thema Marias Besuch bei Elisabeth (lat. Visitatio Mariae) aus dem Lukasevangelium kennen wir gut. Wie viele Male wurde es in großartiger Weise dargestellt. In Florenz hatte ich die Gelegenheit, die herrliche Darstellung der Visitatio von Fra Angelico bewundern zu können. Auch in der Kirche Notre Dame de l’Arche d’Alliance, wo ich Pfarrer war, gibt es ein enormes Glasfenster, das die Visitation von Martial Raysse zeigt (zu den Malern siehe: Anmerkung).

Ihr seht also, dass die Szene der Visitatio sehr viele Künstler inspirierte …

Die Begegnung der beiden wunderbaren schwangeren Frauen… Die eine, die ältere, die das Alte Testament verkörpert, das noch immer fruchtbar ist, und die junge, die Jungfrau Maria, die uns das Kind gebären wird, das uns das Leben schenken wird, das uns erretten wird – das Zeichen des Neuen Bundes.

Doch noch außergewöhnlicher als diese beiden großartigen schwangeren Frauen, die sich mit strahlenden Gesichtern begrüßen, ist, dass die Hauptakteure der Szene unsichtbar sind. Es sind die beiden Kinder, die die Frauen in sich tragen. Durch die sich ihre Mütter äußern…

Es ist in der Tat Johannes (d. T.), der hüpft. Und es ist wundervoll, zu sehen, wie Johannes im Leib seiner Mutter seine Berufung wahrnimmt, wie er wahrnimmt, warum er von Gott gerufen wird. Wie er vor Freude hüpft, sodass seine Mutter erkennt, dass sie dem Herrn gegenübersteht… er verkündet dadurch seiner Mutter Elisabeth bereits den Messias, wie er ihn etwa dreißig Jahre später dem Volk verkünden wird.

… Elisabeth, erfüllt vom Heiligen Geist, wird vom Geheimnis Marias und des Kindes, das diese trägt, durchdrungen. Und Maria jubelt unter dem Wirken des Heiligen Geistes… durch den Hl. Geist, der von Jesus Christus kommt…, den Jesus später den Aposteln verheißt…  und schenkt uns ihr berühmtes „Magnificat.“ Aber jetzt schon realisiert das Kind (Jesus) seine Berufung, das ganz kleine Kind…

Und was heißt das für uns, Brüder und Schwestern? Dass auch wir eine Berufung haben, durch die Gebote (Gottes). Dass Gott mit uns einen Plan hat. Ja, einen Plan mit uns. Es ist ein Plan, wie ihn Gott Jeremia verkündet: ‚Bevor ich dich im Mutterleib formte, kannte ich dich‘ (Jer 1,5). Oder wie er zu Jesaja sprach: ‚Der Herr hat mich berufen von Mutterleib an‘ (Jes 49,1).“

Und daher, unterstrich Erzbischof Aupetit, sei es so wichtig, zu erkennen, dass Gott mit uns von ganz klein an ein Vorhaben realisieren wolle. Ein Vorhaben, das größer sei, als z.B. das unserer Eltern.

Der Plan Gottes für den Menschen – ein Ja zum Leben

Dann sprach Mgr Aupetit über die Pläne, die Eltern mit ihren Kindern verfolgen würden.

An dieser Stelle ist sein folgender entscheidender Satz hochaktuell, denn Ende November „stimmte… das französische Parlament… mit großer Mehrheit… dafür, die Tötung von Ungeborenen als „Recht“ in der Verfassung zu verankern. Damit werden ungeborene Kinder faktisch zu Rechtlosen degradiert. Für diesen Teil der Menschen werden individuelle Würde und das Recht auf Leben für null und nichtig erklärt“ (Initiative Familien-Schutz).

Man habe heute den Eindruck, so Mgr Aupetit, dass der elterliche Plan darin bestehe, „über das Recht des Lebens oder des Todes des Embryos zu entscheiden“ (was de facto möglich sein wird, sollte der französische Senat dem Parlament zustimmen).

„Aber nein… Es gibt bereits ein Projekt Gottes. Und das Projekt Gottes ist ein Projekt für das Leben. Nicht allein für das Leben hier (für das sich Erzbischof Aupetit unverbrüchlich einsetzt), sondern auch für das Ewige Leben… Gott hat einen Plan für uns, für einen jeden von uns… Wie nun können wir diesen Plan Gottes verwirklichen? Wie können wir ihn in Freiheit annehmen?“ fragte Mgr Aupetit dann.

Die elterlichen Pläne ließen uns nicht immer frei.

Eltern hätten ihre Vorstellungen oder übertragen auf uns auch ihre Frustrationen… … Das Wichtigste sei das Projekt Gottes, das, was er mit uns vorhabe; das würde uns dieses Evangelium sagen… Die beiden Kleinen hätten bereits begonnen, ihre Berufung zu erfüllen… Und „die beiden Frauen haben das Leben empfangen und sind zutiefst beglückt.“ Dies alles ließe uns selbst darüber nachdenken, wie wir dieses Leben empfangen könnten.

Weihnachten – das Fest der verletzbaren Liebe

An diesem Punkt leitete der Erzbischof zu Weihnachten über. Zu Weihnachten, an dem wir ein „Fest der Verletzbarkeit“ feiern würden.

„Denn was feiern wir an Weihnachten? Ein ganz kleines Kind… Und ein Kind in ärmlichen Verhältnissen, in einer Futterkrippe…

… … Wir feiern ein sehr kleines Kind, das gerade geboren wurde, zerbrechlich, abhängig von der Liebe und Zuneigung seiner Eltern.“ Mit der Geburt dieses Kindes sah Michel Aupetit das Christentum in außergewöhnlich inniger Weise verbunden und nannte unsere Religion eine „Religion der Verletzlichkeit, der Verwundbarkeit“, … „die annimmt, was in den Augen der Welt nichts ist“…

Die beiden Kleinen im Leib ihrer Mutter sind verletzbar, das Kind, das geboren wird, das von Gott kommt, ist verletzbar. Was ist verletzbarer als ein kleines Kind?“ Es brauche unsere Zuwendung, ohne diese stirbt es… Und Gott, „der allmächtig ist, wird ein total verletzbares Kind.

Gott gab sich in die Hände der Menschen. In Jesus Christus vertraute er sich den Armen Marias an, vertraute er sich Josef an und seiner Zärtlichkeit, er brauchte nur ein Herz, das ihn mit Liebe empfing, das fähig war, zu lieben… …“

Gott komme in unsere Verletzbarkeit, die Verletzbarkeit, die heute als schlimm empfunden würde… Der Mensch würde heute die Macht seiner technischen Erfindungen demonstrieren… Mgr Aupetit wies auf Gefahren derselben hin, dass sie uns auch vernichten könnten…

„Doch“, fuhr er dann fort. „wenn wir an Weihnachten diese Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit feiern“, könnten wir sehen, dass sich „in ihr … die größte Liebe entfaltet. Es ist der Ort, wo Gott seine Liebe offenbarte…“, Gott, der sich in unsere Hände begebe …

In diesem Zusammenhang verwies er auf Jesus, der am Kreuz starb, verspottet, misshandelt, gedemütigt, verletzt… „darin aber seine ganze Liebe zeigte…“ Verwies er auf das Unverständnis vieler, diese in der harschen Kritik des Philosophen Nietzsche am Christentum verdeutlichend:

„Nietzsche warf der Religion der Christen einmal vor, die Religion der Schwachen zu sein. Doch der Realismus drängt uns dazu, uns mit der Zerbrechlichkeit der Conditio Humana auseinanderzusetzen… Und“, meinte Michel Aupetit weiter „ich bevorzuge es, einer Religion der Schwachen anzugehören, und nicht einer Religion der Gewalt und des Hasses. Ich bevorzuge es, verletzbar zu sein und nicht zu verletzen…“

Wird man ihm nun vorwerfen, jegliches Verletzt-Werden hinnehmen zu wollen? Die Frage stellt sich sicher vielen Lesern angesichts der vielen Morde an unseren Mädchen und Frauen durch Angehörige jener propagierten „Friedensreligion“, die in Wirklichkeit die Gewalt verherrlicht. Und inwieweit wir das alles noch weiter hinzunehmen bereit sind… Gerade auch die Christen. Doch unsere Verletzbarkeit, unsere Verwundbarkeit, über die Michel Aupetit sprach, in die sich auch Gott hineinbegab, ist für ihn kein Freibrief, diese als Christen unter allen Umständen zu akzeptieren. So war er es, der z.B. nach dem Attentat von Notre Dame in Nizza bei der Regierung umgehend Schritte veranlasste, alle Gotteshäuser in Frankreich bewachen zu lassen. Um die „Bürger zu schützen.“ Auch wenn solche Maßnahmen nicht das Übel an der Wurzel packen. Und wenngleich er den Christen sagt, „dass Verfolgungen nicht das letzte Wort haben.“

In den Schlussworten seiner Adventspredigt betonte er nochmals die Liebe, die sich gerade in der Verletzbarkeit des Menschen zeige. In der Liebe einer Mutter, eines Ehepartners… wenn eine Mutter sich um ihr krankes Kind kümmere, es in den Arm nehme, es beschütze, wenn ein Mann sich liebevoll um seine kranke oder behinderte Frau kümmere…

Überall, in allen Momenten der Verletzbarkeit zeige sich auch die Liebe… Die Verwundbarkeit sei der Ort, an dem sich Gott, an dem sich Christus zeige…

„Seien wir also stolz darauf, zu einer Religion zu gehören, wo Gott sich verletzbar, verwundbar macht, um uns seine unermessliche Liebe zu zeigen… …

Empfangen wir ihn nun, …der sich so klein machte und beten wir das neugeborene Kind in der Krippe an.“

Quellen

– Homélie de Mgr Michel Aupetit – Messe du 4e dimanche de l’Avent, Notre-Dame de Paris – Dimanche 23 décembre 2018. Diocèse de Paris. L’église catholique à Paris.

– Messe du 23 décembre 2018, KTOTV – Messe à Notre Dame de Paris du 23/12/2018

Umfassende Auszüge aus der vor allem gesprochenen Predigt Mgr Aupetits vom 4.Advent 2018. Unter Berücksichtigung einiger Textpassagen der Schriftfassung.

Übersetzung: Dr. Juliana Bauer

Anmerkung zu den genannten Künstlern

Fra Angelico

Fra Angelico oder Beato Angelico („Bruder Engelsgleich“ oder der „selige Engelsgleiche“) geb. vermutlich zwischen 1395 und 139 in Vicchio di Mugello bei Florenz, gest. am 18. Februar 1455 in Rom war einer der bedeutendsten Maler der italienischen Frührenaissance. Geboren als Guido di Pietro wurde er als Fra Giovanni (Bruder Johannes) Dominikanermönch in Fiesole bei Florenz. Seinen Beinamen erhielt er wegen seinen „mystisch inspirierten“, delikaten Darstellungen christlicher Ikonographie sowie der Zartheit und gleichzeitigen Leuchtkraft seiner Farben.

Fra Angelicos berühmteste Darstellung der „Verkündigung“ findet sich als Fresko im Kloster San Marco in Florenz; die „Visitatio“ (Besuch Marias bei Elisabeth) ist auf der Predella (dem Sockel bzw. Unterbau) einer Altartafel zu sehen, die ebenfalls die „Verkündigung“ thematisiert und sich im Diözesanmuseum in Cortona/Toskana befindet. Möglicherweise war jenes Altarbild in Florenz in einer Ausstellung zu sehen.

Martial Raysse

Martial Raysse, geb. 1936, ist ein französischer Maler, Bildhauer und Installationskünstler und Mitbegründer des Nouveau Réalisme, des Neuen Realismus. Für die zeitgenössische, 1998 eingeweihte Kirche Notre Dame de l’Arche d’Alliance in Paris, wo Mgr Aupetit von 2001-2006 Pfarrer war, schuf er zwei Glasfenster, mit den Darstellungen König Davids vor der Bundeslade und der Visitatio Mariae. (Auch von Michel Aupetit selbst befindet sich ein Werk in dieser Kirche: eine Skulptur Christus am Kreuz, https://fr.aleteia.org/2017/12/08/vous-ne-devinerez-jamais-qui-a-sculpte-ce-christ-en-bois/).

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1 Kommentar

  1. Eine kleine Ergänzung zur obigen Predigtübersetzung:
    Der Titel „Weihnachten. Das Geheimnis der verwundbaren Liebe“
    stammt nicht von mir, sondern vom Prediger selbst. Mgr Aupetit überschrieb in der Schriftfassung seine Predigt mit diesem Titel.

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