Von Helmut Roewer
Die Ukraine ist ein Pulverfass und zwar aus innerstaatlichen Konflikten und kolonialen Begehrlichkeiten aus verschiedenen Richtungen. Ich habe in den letzten Jahren versucht, ab und an die russische Brille aufzusetzen, um die Tiefe des Konflikts ausloten zu können. Hierbei ging mir auf, dass die russische Sicht auf Geschichtsprozesse im Grundsatz eine andere ist, als wir es im Westen gewohnt sind. Man denkt dort in viel längeren Perioden – sowohl nach hinten als auch nach vorn in die Zukunft. Dazu gehört, was die Ukraine anlangt:
Ursprung der russischen Herrschaft, wie wir sie heute kennen, ist wohl die Kiewer Rus als das Kerngebiet, von dem alles ausging. Die Länder, die heute der Ukraine zugerechnet werden, wechselten im Laufe der Jahrhunderte mehrfach die Herrschaft, nach der letzten polnischen Teilung saßen die staatlichen Herrscher in Sankt Petersburg und in Wien. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine Art ukrainisches Nationalbewusstsein und zwar im Herrschaftsgebiet der k.u.k. Monarchie (zum Beispiel die eigene Schriftsprache, die zunächst der Sammlung ukrainischer Märchen und Mythen diente).
Der nächste Schub kam durch die deutsche Heeresleitung im Jahre 1918. Sie führte zur kurzfristigen Installierung eines Hetmanns der Ukraine und sodann zu einer eigenständigen Konfliktpartei (die Grünen) im russischen Bürgerkrieg, die bis etwa 1923 dann blutig unterdrückt wurde. Die sodann erfolgte Herstellung einer ukrainischen Sowjetrepublik war das Werk des seinerzeit tätigen Volkskommissars für Nationalitäten, Josef Stalin. Diese so konstruierte sowjetische Ukraine, die weit in rein russisch besiedelte Gebiete hineingriff, ist heute noch im wesentlichen das umstrittene Staatsgebiet mit dem Namen Ukraine.
Zwischendrin, d.h. ab Mitte der 1920er Jahre, gärte der Konflikt weiter. Er wurde absichtsvoll von der Reichswehr und späteren Wehrmachtsführung begleitet. Nach 1945 wurde diese deutsche Tradition von den US-Amerikanern übernommen, die sich nach 1991 ausrechneten, sich eine potente Kolonie einheimsen zu können. Das Verfahren hatte Hochs und Tiefs vor allem deshalb, weil es einen einheitlichen innerpolitischen Standpunkt der dortigen Bevölkerung nicht gab. Soweit man den durch Zahlen ermittelten sogenannten Wählerwillen zugrunde legte, deutete der eher in eine russische Richtung. Der US-gelenkte Februar-Putsch 2014 in Kiew (Regime Change) führte auf geradem Weg in den Krim-Konflikt, den Russland durch den Handstreich einer Volksabstimmung im März 2014 für sich entschied.
Der Spiritus Rector der damaligen US-Aktion, die letztlich in die Hose ging, war die Diplomatin der Obama-Administration Victoria Nuland, die jetzt wieder das große Wort führt. Sie ist in meinen Augen eine klassische Vertreterin des modernen US-Imperialismus. Propaganda (Demokratie und Menschenrechte) und die schlichte Wirklichkeit (Gewinnen von Einflussgebieten) gehen ja mitunter eigene Wege. Nuland gehörte, nachdem Trump an die Macht gekommen war, zu den entscheidenden Konspirateuren gegen den Präsidenten. Jetzt ist sie an der Staatsspitze zurück. Ich betrachte ihre Aktivitäten mit wacher Neugierde.
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