Von Dieter Farwick, BrigGen a.D. und Publizist
Russland hat bereits vor Wochen verkündet, dass es 2022 Seemanöver auf allen Weltmeeren durchführen wird – auch im Mittelmeer und im Schwarzen Meer.
Es ist für Russland nicht die erste Seeübung im Mittelmeer. Vor Jahren hat Russland bereits seine Seeübung mit Kriegsschiffen Chinas durchgeführt – ein bemerkenswertes Signal beider Staaten.
2014 hat Russland die Ukraine angegriffen, die Krim völkerrechtswidrig erobert und die Provinzen von Donezk und Luhensk besetzt sowie unter russische Verwaltung gestellt.
Russische Streitkräfte sammeln „Kriegserfahrungen“ bei globalen Einsätzen. Aus ambitionierten globalen Einsätzen entstehen jedoch Gefahren für Russland, seine Ressourcen zu überreizen – eine Ursache für den Kollaps der früheren Sowjetunion.
Putins Ziel bleibt die Wiederherstellung der „Großmacht Sowjetunion“ in Augenhöhe der USA.
Die Ukraine ist ein Sonderfall im Osten Europas. Sie ist kein Mitglied der NATO. Bevor Russland in die Ukraine einmarschiert, kann die NATO keine wirkungsvolle militärische Unterstützung leisten. Der Westen hat die Ukraine nach der völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim– mit der Bildung der russisch geführten autonomen Provinzen Donbass und Luhansk mit einem hohen Anteil russischer Staatsbürger – deutlich unterstützt.
Die Unterstützung hat die Verteidigungs- und Einsatzbereitschaft der Ukraine verbessert, aber sie hat keine Chancen, sich alleine gegen Russland zu verteidigen. Putin hat das Heft der Entscheidungen in seinen Händen. Er kann wählen zwischen räumlich begrenzten und kleineren Vorstößen, um seine Muskeln zu zeigen.
Bleibt er damit unter dem Radarschirm des Westen wird dieser nicht eingreifen, sondern wird mit wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen reagieren.
Sollte Russland jedoch massiv angreifen und ukrainische Streitkräfte überrollen, könnte die NATO mit stärkeren Einsatzkräften versuchen, die russischen Streitkräfte aus der Ukraine zu verdrängen.
Ob die NATO-Staaten das Risiko eines längeren Landkrieges eingehen werden, ist zumindest in Deutschland inzwischen umstritten.
Die Forderungen des Kreml, die NATO müsse alle Truppen aus Osteuropa abzuziehen, sind maßlos und reine Provokation.
Das gilt auch für Behauptungen Russlands, die NATO habe vertragswidrig Truppen permanent in Osteuropa stationiert. Dies ist eine glatte Lüge.
Russland hat in dem Vertrag dem zeitlich begrenzten Aufenthalt von NATO-Truppen zugestimmt.
Auf Einladung der ost- und südosteuropäischen Länder nehmen Truppen der NATO rotierend und zeitlich begrenzt teil. Nach Übungsende kehren diese Truppen umgehend in ihre Standorte zurück.
Die Rolle Deutschlands
Deutschland spielt in dieser Frage eine entscheidende Rolle – besonders in den Augen der NATO-Verbündeten und Russlands.
Der „Spiegel“ bringt in der Ausgabe Nr.4 vom 4.1.2022 eine gründliche Beurteilung der Lage – nicht nur in militärischer Hinsicht.
Abschreckung ist die Gesamtaufgabe eines Landes und eines Bündnisses.
Finanzielle und wirtschaftliche Stärke sind ein wichtiger Pfeiler – wie auch der Behauptungswille und die Verteidigungsbereitschaft der Bevölkerung.
In den letzten Jahren ist für die Stärkung dieser Faktoren in Deutschland zu wenig geschehen – wie Umfragen immer wieder zeigen.
Die Deutschen wollen und können mehrheitlich nicht mehr kämpfen.
Der Kampfgeist ist im Wohlstand versunken.
Dieses Ergebnis ist niederziehend und erschreckend: Eine Mischung von Ohnmacht, Feigheit, Angst und Wegducken. Die Parteien zeigen keine Entschlossenheit, im Falle eines Falles mit NATO-Verbündeten zur Verteidigung der Ukraine einzugreifen.
Die Verbündeten werden dem Beispiel Deutschlands folgen – oder nicht. Eher nicht. Kluge Entschuldigungen und Rechtfertigungen gibt es aus allen Parteien. In den Augen der Verbündeten hat sich Deutschland mit der neuen Regierung in ein Schneckenhäuschen zurückgezogen.
Deutschland wird von den Verbündeten als „unsicherer Kantonist“ eingestuft.
Die Versuche der USA, Deutschland zu einer starken Haltung zu bewegen, sind bisher ohne Erfolg geblieben. Putin hat als Geheimdienstchef im Osten Deutschlands die Mentalität der Deutschen hautnah miterlebt.
Die „hybride Kriegsführung“ Russlands zielt in „Friedenszeiten“ darauf ab, das „Bündnis NATO“ zu spalten und zu lähmen. Diesem Ziel ist Putin schon sehr nahe bekommen.
Wozu soll er einen Krieg starten, wenn er das Ziel in den nächsten Jahren ohne scharfen Schuss erreichen kann?
Er sieht vermutlich einen „Königsweg“. Putin ist 70 Jahre alt. Es wäre sicherlich seine große Hoffnung und größter Erfolg seines Lebens, wenn es ihm mit Russland gelänge, ein positives Schlusskapitel für Russlands Geschichtsbücher zu schreiben.
Ein solcher Erfolg würde auch die Kritik an seiner Führung und an der schwächelnden Wirtschaft verstummen lassen. Er wäre „Wladimir der Große“.
Die NATO wäre hingegen auf Jahre ein Trümmerhaufen, wenn man den Wiederaufbau des Bündnisses überhaupt wollte.
Uns bleiben leider nur Erinnerungen an bessere Zeiten.
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