StartChristentum, Hoffnung und TranszendenzEs ist ein‘ Ros‘ entsprungen

Es ist ein‘ Ros‘ entsprungen

„Das alt katholisch Trierisch Christliedlein“

Es ist ein Ros entsprungen /
auß einer wurtzel zart /
Als vns die alten sungen /
auß Jesse kam die art /
vnnd hat ein blümlein / bracht /
mitten in kaltem winter
wol zu der halben nacht.

„Stumpf Isais“ (Stumpf Jesses). Von Sieger Köder

Das Lied, eine Schöpfung von zarter Poesie und von gleichermaßen starker theologischer Aussagekraft, zählt zu den seit Jahrhunderten überlieferten, traditionellen und geliebten Weihnachtsliedern:

Es ist ein‘ Ros‘ entsprungen.

Die auf youtube übertragenen Aufnahmen erstklassiger Gesangensembles und Chöre weisen bis zu hunderttausendfache, teils millionenfache Aufrufe auf, untermalt von begeisterten Kommentaren der Zuhörer und Zuhörerinnen. Bis hin zu einem Glaubenszeugnis eines ehemaligen Atheisten, der durch die „Worte“ dieses Weihnachtsliedes von der Botschaft des Christentums berührt und „fasziniert“ war und sich später taufen und firmen ließ.

Die Herkunft des Christliedleins

Der Text einschließlich der Melodie ist erstmals 1599 im Speyrer Gesangbuch belegt. Herausgegeben als Alte Catholische Geistliche Kirchengeseng auff die fürnemste Feste handelt es sich bei diesem Gesangbuch wohl um das älteste für das Bistum Speyer. Das Weihnachtslied, das um 1600 auch in den Nachbardiözesen Mainz und Trier verbreitet war – aus letzterer stammt es offenbar – war aller Wahrscheinlichkeit nach bereits im 15.Jahrhundert bekannt. Im Mainzer Kantual, einem „Hilfsbuch für den gemeinschaftlichen Gottesdienst“, wird es 1605 als Das alt katholisch Trierisch Christliedleinbezeichnet (bei der Bezeichnung beachte man folgendes: der erste Festtag der Weyhenacht wurde als Tag von „Christi Geburt“ einst Christtag genannt. Kürzlich las ich auf einem Video der Zwölf-Apostel-Gemeinde von Berlin von der Christnacht, welche als Vigilgottesdienst „der wichtigste Gottesdienst im Verlauf des Christfestes“ sei, „denn er markiert die Stunde der Geburt Jesu“).

Ursprünglich ein 23 Strophen umfassendes Marienlied, welches das im Matthäus- und Lukasevangelium beschriebene Marienleben thematisierte, erschien das zweistrophige Christliedlein von jenem Zeitpunkt an vermehrt in den katholischen Gesangbüchern. In jenen von Süddeutschland wurde es früher publiziert, als in jenen von Mittel- und Norddeutschland.

Es ist ein Ros entsprungen,
Erstdruck im Speyerer Gesangbuch von 1599

Feinste theologische und poetische Unterschiede in „katholischer“ und „evangelischer“ Textfassung

In die Gesangbücher der reformatorischen Kirchen fand das Lied erst im 19.Jahrhundert Eingang. Einen Unterschied zum Ursprungstext der katholischen Kirche zeigt die zweite „evangelische“ Strophe: die Zeilen 3 und 4 sowie die letzte Zeile, die teilweise auch variierte, sind verändert – ich stelle im Folgenden beide einander gegenüber (s.u.). Die ursprünglichen Textzeilen betonen besonders die Jungfräulichkeit Mariens (wenngleich diese auch im „protestantischen“ Text genannt wird) und heben diese in der letzten Zeile noch einmal eigens hervor: „Das Röselein, das ich meine … Ist Maria die reine“ – wobei sowohl Maria, als auch Christus als die Blume/die Rose gesehen wird Die vns das blümlein hat bracht – und „hat sie ein Kind gebohren / Vnd blieb ein reine Magd.“Die „evangelische“ Zeile hingegen streicht die „reine Magd“ und akzentuiert, ganz im Sinne der Reformation, die auf Christus, das alleinige Röslein, bezogene Heilsaussage: das Kind Jesus, das Maria gebar, ist es, „welches uns selig macht.“

Die gewandelte und populär gewordene Textfassung der zweiten Strophe geht auf den berühmten protestantischen Kirchenmusiker und Komponisten der Renaissancezeit, Michael Praetorius (1571-1621) zurück, der die entsprechenden Zeilen änderte sowie 1609 den sich weit verbreitenden vierstimmigen Chorsatz schuf. Der Aufnahme des Liedes in das Evangelische Gesangbuch (EG 30) bereitete letztlich auch der lutherische Pastor Friedrich Layriz (1844) den Weg, der dem Lied noch zwei weitere Verse anfügte. Das Röslein nochmals als Metapher für Christus aufgreifend thematisiert er in den Zeilen von Vers 3 die bedeutenden theologischen Aussagen von Jesu göttlichem und menschlichem Sein: dem Sieg des Lichtes, das Christus ist, über die Finsternis und der Errettung des Menschen aus Schuld und Tod durch den Mensch gewordenen Gottessohn, die Errettung, die letztlich „im Saal der Engel“ in Gottes Reich ihre Erfüllung finden wird (Vers 4).

Die Strophen 3 und 4 werden im Gottesdienst wie auch von Gesangensembles und Chören gerne gesungen; vor allem die letzte Strophe bevorzugen Ensembles und Chöre häufig, sodass das Lied, meist im Praetorius-Chorsatz interpretiert, 3- oder 4-strophig vorgetragen wird (siehe die Gesamtstrophen). Erwähnt sei hier jedoch, dass im römisch-katholischen, am 1. Adventssonntag 2013 neu eingeführten Gebet- und Gesangbuch Gotteslob das Lied, unter Nr.243 zu finden, lediglich drei Strophen, nämlich die Verse 1 – 3 aufweist; auch wurde die katholische Textversion von Strophe 2 berücksichtigt (siehe Erzbistum Köln).

Vers 2 des Christliedleins

katholisch, Speyer (1599)
Das Röselein das ich meine /
Darvon Isaias sagt /
Ist Maria die reine /
Die vns das blümlein hat bracht /
Auß Gottes ewigem raht /
Hat sie ein Kindlein g‘boren /
Vnd blieb ein reine Magd.

evangelisch, Praetorius (1609)
Das Röeßlein das ich meine /
darvon Jesaias sagt /
hat vns gebracht alleine /
Mary die reine Magd /
aus Gottes ewgen raht /

hat sie ein Kind gebohren /
welches uns selig macht

oder auch Wiederholung der letzten Zeile von Vers 1:

hat sie ein Kind gebohren /
[wol zu der halben Nacht].

Textgrundlage und Bedeutung des Liedes

„Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Jesse und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen“ (Jesaja 11,1).

Die Weissagung des Propheten Jesaja über den von Israel ersehnten Messias, den Gesalbten (Christus), ist Ausgangspunkt des Liedtextes und liegt diesem auch in der Folge zugrunde. Das Wort Reis steht für den jungen Trieb einer Pflanze, einen Spross oder Wurzelschößling, den Gott segnet (Hiob 14,7). Das Wort steht jedoch auch im übertragenen Sinn für die Empfängnis und die Geburt eines Kindes und gewinnt in den biblischen Schriften vor allem mit Blick auf den legitimen Herrscher aus dem Hause Davids metaphorische Bedeutung: Reis bzw. Spross wird zu dessen aussagekräftigem Titel. Der „gerechte Spross“, den Gott „dem David erwecken will“ (Jeremia 23,5), der aus der „Wurzel Jesse“ (Jesaja 11,1) kommen wird, soll im Volk Israel Recht und Gerechtigkeit verwirklichen, denn „er wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande…“ (Jes 11,4; siehe zur gesamten messianischen Vorhersage Jesaja 11,1-10).

Wenn nun in dem Christliedlein Jesse (auch Isai genannt) als der „Stammvater“ Jesu angeführt wird, aus dessen „Wurzel“ dieser hervorging – „aus Jesse kam die Art“ –, so wird damit auf Jesse, den Vater Davids verwiesen, der mit seiner Großfamilie in Betlehem lebte, wo der Prophet und Richter Samuel den jungen David zum König salbte. Damit steht der Verbindungsbogen zum „Reis“, das „entsprungen…aus einer Wurzel zart“ und damit gleichermaßen zur messianischen Weissagung des Propheten Jesaja (auf den das Lied ebenso hinweist), jene Weissagung, die den Gesalbten Gottes als den „gerechten Spross“, nicht allein für Israel, sondern für alle Nationen, ankündigt. Denn „es wird geschehen zu der Zeit, dass die Wurzel Jesse dasteht als Zeichen für die Völker“ (Jes 11,10).

Manche Lied-Publikationen verwenden in Anlehnung an Jesaja das Wort Reis statt Rose. Doch ist letzteres – Ros, auch Röeß – das ursprüngliche Wort des Liedes, das sich in allen alten Texten wiederfindet. Es spiegelt das Bild der Rosa mystica, ein Bild für Maria, die Mutter Jesu, welches innerhalb der im Mittelalter sich entwickelnden Marienmystik entstand. Als diese Rose wird Maria auch in der ursprünglichen zweiten Strophe gepriesen, die jedoch nicht das alleinige Röslein bzw. Blümlein verkörpert, sondern die auch „das blümlein hat bracht“, das heißt, uns ein zweites Blümlein brachte, mit dem sie eine engste Beziehung verbindet. Das „Blümlein“ oder Röeßlein, welches der Erlöser ist.

Als Symbol für Christus ist die Rose weniger geläufig als für Maria; dennoch findet man sie als eines seiner Sinnbilder für die über den Tod hinausgehende Liebe, mehr jedoch, aufgrund ihrer Dornen, als Bild für sein Leiden (Dornenkrone). Auch symbolisieren rote Rosen in Verbindung zu Jesus

seine Wunden, wohingegen weiße Rosen die Freuden des Paradieses (des Himmelreichs) verbildlichen, dessen Tore Jesus uns Menschen durch sein Kommen in diese Welt wieder öffnete:

Heut’ schleußt er wieder auf die Tür

zum schönen Paradeis

wie es in dem wunderbaren Weihnachtslied aus dem 16.Jahrhundert „Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich“ heißt.

Es ist ein‘ Ros‘ entsprungen

1. Es ist ein Ros entsprungen
aus einer Wurzel zart,
Wie uns die Alten sungen,
von Jesse kam die Art,
   Und hat ein Blümlein bracht,
mitten im kalten Winter,
wohl zu der halben Nacht.

2. Das Röslein, das ich meine,
davon Jesaias sagt,
Hat uns gebracht alleine
Marie, die reine Magd.
   Aus Gottes ew‘gem Rat
hat sie ein Kind geboren,
welches uns selig macht


3.
 Das Röselein so kleine,
das duftet uns so süß,
Mit seinem hellen Scheine
vertreibt‘s die Finsterniss.
   War Mensch und wahrer Gott;
hilft uns aus allem Leide,
rettet von Sünd‘ und Tod.

4.
 O Jesu, bis zum Scheiden
aus diesem Jammerthal
Laß dein Hilf uns geleiten
hin in der Engel Saal,
   In deines Vaters Reich,
da wir dich ewig loben:
o Gott, uns das verleih‘!

voces8

Voces Suaves

Ensemble Amarcord

Calmus Ensemble

Anmerkung

Der Künstler und Theologe Sieger Köder

Sieger Köder (1925 – 2015), der mit dem „Stumpf Isais“ (dem „Stamm Jesses“), dem „eine Rose entspringt“, eine Assoziation zum obigen Weihnachtslied herstellte, war Kunsterzieher, katholischer Priester, Kunstmaler und Krippenbauer. Von 1995 bis zu seinem Tod lebte er in Ellwangen/Ostalbkreis.

Monsignor Köder (den Titel verlieh im Papst Johannes Paul II.), dessen Bilder als „kraftvolle und farbgewaltige“ Predigten gelten, zählt zu den bekanntesten deutschen Malern christlicher Kunst des 20. Jahrhunderts. Seine Bilder waren in unzähligen Ausstellungen zu sehen. Er stattete zahlreiche Kirchen und Kapellen mit Bildfenstern, Wandgemälden und Altarbildern aus, aber auch mit Skulpturen, vornehmlich Krippen. So gestaltete er z.B. in der Franziskuskapelle im Kinderdorf Marienpflege in Ellwangen u.a. Wandgemälde zu Franziskus‘ „Sonnengesang“ und zu

Franziskus feiert 1223 das Weihnachtsfest in Greccio.“

(Hinweis: Im kommenden Jahr sind es 800 Jahre, dass Franziskus von Assisi das Weihnachtsgeschehen in Greccio, unweit von Assisi, von einfachen Menschen spielen ließ, um ihnen Jesu Geburt lebensnah zu verkünden – es ist das erste, historisch erfassbare Krippenspiel).

Dr. Juliana Bauer ist Kunst- und Kulturhistorikerin und Philologin. Sie studierte in Freiburg/Br. und in Rom Kunstgeschichte, Volkskunde (storia delle tradizioni popolari) und Italienisch. Zur Kulturgeschichte der Advents- und Weihnachtslieder veröffentlichte sie in der Advents- und Weihnachtszeit der vergangenen drei Jahre zahlreiche Beiträge in Conservo, in beischneider.net und in kath.net.

0:00 https://www.youtube.com/watch?v=7RjAXOcTebIhttps://www.youtube.com/watch?v=_jli20Ea3ew

https://www.youtube.com/watch?v=_jli20Ea3ew

Kommentarregeln: Bitte keine beleidigenden oder strafbaren Äußerungen. Seid nett zueinander. Das Leben ist hart genug.

1 Kommentar

  1. Wow…..!
    Danke für die Hintergrundinfos.
    Aber, meiner Meinung nach, singen alle 4 Künstlergruppen in einer falschen Tonhöhe. Er hier, er bringts top zur Geltung. Da versteht man auch den Text.
    :::::::::::::

    Jonas Kaufmann – Es ist ein Ros entsprungen

Kommentarfunktion ist geschlossen.