„Ins Herzensgebet gehen“

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Gedanken zur Fastenzeit der Christen

„Die Fastenzeit wird im innersten Geheimnis des Herzens gelebt, das nur Gott zugänglich ist. Es handelt sich weder um einen gesellschaftlichen und zur Schau gestellten Akt, noch um eine Gelegenheit, eine Hungerdiät zu machen. Es ist ein begnadeter Moment, in die göttliche Intimität einzutreten.“ Mgr Michel Aupetit, Tweet vom 15. Februar 2024

Erzbischof Aupetits Worte erinnern unweigerlich an die Worte Jesu:

Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten… Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir’s vergelten“ (Mt 6,16-18).

Dasselbe äußert Christus zum Beten sowie zum Almosengeben, die beide eng mit dem vor allem religiös ausgerichteten Fasten verbunden sind:
Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht sein wie die Heuchler, die gern in den Synagogen und an den Straßenecken stehen und beten, um sich vor den Leuten zu zeigen… Wenn du aber betest, so geh in deine Kammer… (Mt 6,5-6).

Habt aber acht, dass ihr eure Gerechtigkeit nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden… Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen…“ (Mt 6,1-2).

Auffallend sind immer wieder und gerade im Kontext von Fasten, Beten und „Almosen geben“ Jesu Hinweise auf die Heuchelei. Er spricht sowohl die bewusst agierenden Heuchler an, die sich nach außen gezielt anders geben, als sie in Wirklichkeit sind, als auch die unbewusste Verstellung der Menschen, die sich aus überlieferter Frömmigkeit heraus einen falschen Anschein geben, der nicht ihrem echten Wesen entspricht.

Sie geben vor den anderen Menschen vor, mit Gott in enger Berührung zu stehen und ein Herz für andere zu haben, besonders aber auch um „für ihren Gott“ auf Angenehmes zu verzichten und sich in Buße zu üben.

Perfide und zugleich verlogene Formen kann diese Haltung im Besondern dann annehmen, wenn Kinder zu solchem Handeln genötigt werden. Kinder – die Jesus als Vorbild für die Erwachsenen benennt. So war es zu meiner Kinderzeit üblich, den Kommunionkindern das fastnächtliche Verkleiden zu verbieten – stattdessen wurden die „ganz katholischen“ an den Fastnachtstagen in die Kirche zur „Anbetung“ getrieben. Darüber hinaus war es Usus, die Kinder während der Fastenzeit, d.h. von Aschermittwoch bis Ostern, immer wieder aufzufordern auf Schokolade und andere Süßigkeiten, die sie liebten, gänzlich zu verzichten. Wobei das Wort „Verzicht“ eine herausragende Bedeutung im Leben der „Frommen“ innehatte, was sie natürlich nicht genug den Kindern gegenüber betonen mussten. Auch bigotte evangelische Christen zogen mit; diese untersagten ihren Kindern den Besuch von Jahrmärkten und Volksfesten, insbesondere in den Wochen vor der Konfirmation.

Wenn Jesus dann als ausgesprochenes Kennzeichen der Heuchelei die Verurteilung des anderen und seiner Verfehlungen nennt und das So-Tun, als ob man selbst schuldlos und ohne Fehl und Tadel wäre (Mt 7,3-5), lässt das eben häufig an die Menschen denken, die übereifrig religiös sein möchten oder religiösen Institutionen oder einem geistlichen Stand angehören. An jene, die das un-/bewusste Bestreben zeigen, durch frommes Tun und korrekte Formen, mit denen sie sich nicht selten von den „Sündern“ abzusetzen glauben, sich selbst wie auch anderen etwas vorzugaukeln.

Im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch in Kirche und kirchlichen Einrichtungen höre ich von Kritikern oder Anklägern daher immer wieder das folgende Argument, dass diese kriminellen Taten „besonders verwerflich sind, weil die Pfarrer oder ‚andere gläubige Leute‘ vorne stehen und fromme Vorträge halten. Weil sie schönklingende Reden schwingen oder uns moralische Anweisungen erteilen. Dass sie uns sagen, was wir zu tun und zu lassen haben, was falsch ist, was Sünde ist, selber aber die größten Mistböcke sind.“

In Italienisch heißt Heuchler ipócrita, in Französisch hypocrite – Wörter, die beide dem Griechischen hypokrités entstammen und Schauspieler bedeutet. Ein Heuchler ist also ein Mensch, der vor sich selbst und vor anderen eine Rolle spielt, der etwas darzustellen sucht, was er in Wirklichkeit nicht ist.

Wie viele Geistliche oder Geweihte, wie viele religiös Praktizierende zählen zu diesen Heuchlern?

„Herzensgebet“ – „im Geheimnis des Herzens“

Die Gedanken Michel Aupetits zur Fastenzeit, diese „im Geheimnis des Herzens“ zu leben, treffen den Kern dieser für gläubige Menschen bedeutsamen Zeitspanne, in wenigen Worten legt er ihren Sinn dar.

Sie erinnern mich unwillkürlich an eine Aussage einer „Gewaltüberlebenden“, von der ich vor kurzem las – wenngleich Erzbischof Aupetits Worte keinerlei Berührung mit dem persönlichen Zeugnis jener, ihm sicherlich unbekannten Frau haben. Einer Frau, die als Kind von einem Priester missbraucht worden war. Die im vergangenen Jahr am Karfreitag einen Brief an Jesus schrieb, an dem Tag, an dem „der Menschensohn …sich… auf seinem Weg nach Golgotha“ befand.

Es ist ein Brief, in dem sie vieles ausspricht, was sie massiv verletzte und aufwühlte und immer noch verletzt. An einer Stelle schreibt sie, dass sie sich in ihren Kinderjahren dennoch immer wieder an Christus wandte, was ihr noch heute „wundersam“ (unerklärlich) erscheine. Dass sie „trotz allem als Kind fähig wurde, Jesus mein Leid zu klagen, ins Herzensgebet zu gehen und meine Gaben für andere einzusetzen.“

„Ins Herzensgebet“ gehen – mit Christus. Und die eigenen „Gaben … einsetzen.“ Nicht allein für sich selbst.

Publikationen
Mgr Michel Aupetit@MichelAupetit Twitter.comÜbersetzung: Juliana Bauer

Feinschwarz. Theologisches Feuilleton.

Kurzes Nachwort

Mit dem „Herzensgebet“, dem Weg einer verinnerlichten Spiritualität, dem sich die „Gewaltüberlebende“, wie sie sich selbst bezeichnet, anvertraute, will ich keinesfalls das große Leid der missbrauchten Kinder und anderer verharmlosen. Das Gebet, wie sie es beschreibt, ist m.E. stimmig mit dem, wie es Mgr Aupetit lebt, und stoßt einen Weg an, der in der von eigennützigem Palaver durchzogenen Kirche nicht nur zu kurz kommt, sondern zu durchdachten und von Gott getragenen Entscheidungen führen kann.

Kommentarregeln: Bitte keine beleidigenden oder strafbaren Äußerungen. Seid nett zueinander. Das Leben ist hart genug.

7 Kommentare

  1. Noch ein Wort zum Konzil:
    Sie wissen ja, Herr Rhau, dass ich dem Konzil zugetan bin. Jedenfalls in vielen Punkten. Wenn einige der Herren Kleriker ihr eigenes Süppchen kochen – was viele auch in der langen Kirchengeschichte immer taten -, auch wenn es noch so fade oder bitter schmeckt, ist das nicht die Schuld von Johannes XXIII. So wie viele Dinge standen und sie von den Piusbrüdern wieder vertreten werden, konnte es nicht bleiben. Übrigens hatte auch Papst Pius XII. bereits mit einigen Reformen begonnen. Z.B. gegen verbohrte liturgische Festsetzungen von Pius V.

    Aber zur Intention von Papst Johannes XXIII. bzgl. des von ihm einberufenen Konzils (ich übersetzte einen Teil einer Sendung des ital. TV vom Oktober 2018). Ich zitiere die Worte des Kardinals Angelo Comastri:
    „Das Konzil war eine Inspiration (des Papstes).
    Viele legten Papst Johannes XXIII. Absichten zugrunde, die er nicht hatte. Sie behaupteten, was ich z.B. vielfach las: Papst Johannes wollte die Kirche revolutionieren…
    Seine Intention war jedoch die, wie er sie formulierte und nicht das, was die anderen sagten. Deren Aussagen der Phantasie entsprangen oder die auch manipulieren wollten…“ Kardinal Comastri hatte einen authentischen Text mitgebracht, den Johannes XXIII. von Hand geschrieben hatte. Dann las er die Worte des Papstes vor, die dieser bei der Eröffnung des Konzils sprach:
    ‚Der jüngste Nachfolger des Hl. Petrus, der jetzt zu euch spricht, der dieses Konzil (gerade) begonnen hat, sieht vor, der Verkündigung des Evangeliums neue Kraft zu verleihen. Der Verkündigung, die auf dem langen Weg der Geschichte, die sie noch zurückzulegen hat, niemals weniger werden möchte.‘
    “Papst Johannes wollte den Enthusiasmus wiederbeleben, sodass die Christen das Evangelium an allen Enden der Erde verkünden. Das war die Absicht von Johannes XXIII.“ betonte Angelo Comastri.

    Und niemand glaube im Ernst, dass Johannes XXIII. je “Homo-Ehen” gesegnet hätte und dgl.

    • Roncalli ist etwas schwierig einzuschätzen. Seine Enzyklica ‘Pacem in Terris’ ist nicht unbedenklich. Hingegen war er liturgisch konservativer als Pius XII. und schickte dessen Liturgieingenieur Bugnini (der die Karwochenliturgie nivelliert hatte und der dann unter Montini seine fragwürdige Karriere mit der “Neuen Messe” “krönen” sollte, weg.
      Ja, die Situation der Kirche war im Gegensatz zu dem, was manche Pianer glauben, um 1960 nicht ideal. Mich erinnert die Sache an die Lage der französischen Monarchie vor 1789, die auch krisenhaft war. In beiden Fällen sah der Souverän ein mögliches Heilmittel in der Einberufung einer Notablenversammlung (Generalstände/Konzil) und in beiden Fällen lief die Sache sofort aus dem Ruder und wurde von revolutionären, z. T. verbrecherischen Kräften beherrscht, was dann zum Ende der alten Ordnung führte und Revolutionsregime zur Folge hatte (und beide Institutionen werden bis zum heutigen Tage von solchen beherrscht). Ich glaube, es war der Kardinal Suenens, der die entlarvende Äußerung “Vatikanum 2 ist die Französische Revolution der Kirche” tat.
      Nein, Roncalli hätte die Homoehe nicht eingeführt, aber auch Robespierre oder Danton hätten das nicht getan, das blieb den jeweiligen Nachfolgern vorbehalten.

  2. Übrigens auch die orthodoxen Kirchen sind nicht kleinlich mit ihren Regeln.
    Ich bin immer vorsichtig bei Kindern, dass ich nicht zu viel verlange. Vielleicht wären die Fastensonntage geeignet, mal auf etwas verzichten zu lernen.
    Ich sehe allerdings auch eines: dass heute alles erlaubt ist oder erlaubt sein soll. Das begann schon in den 70er Jahren.
    Eines ist mir auch klar: Kinder zur Anbetung mitzunehmen – mitzunehmen – bewirkt keinerlei Schaden. (Ich störte mich an den damaligen Übertreibungen incl. der Frömmelei).
    Was jedoch heute Kindern zugemutet wird, ist katastrophal bis diabolisch. Z.B. sind für demnächst Kinderlesungen von Drag Queens in Ingolstadt organisiert. Für Kinder ab 4 Jahren. Man erinnere sich: letztes Jahr in München u. im Bistum Mainz. “Mummenschanz”, die Kinderseelen zerstören.
    Dass die Bischöfe hier nicht das Maul aufmachen wie auch die CSU-Leute, ist nicht nur eine Schande – man sollte diese völlig Unverantwortlichen alle inhaftieren.

  3. Sie hätten auch noch das schöne Bild der “gekalkten Gräber” für fromme Heuchler erwähnen können.
    Daß Gläubige – Erwachsene und Kinder – aufgefordert werden, die Faschingstage in der Kirche mit Anbetung zu verbringen, kommt hie und da auch heute noch bei der Piusbruderschaft vor, was bei mir immer Kopfschütteln erzeugt hat. Alles zu seiner Zeit: Ausgelassenheit im Fasching, Fasten und Ernst in der Fastenzeit. Deswegen sind die Pianer aber keine Heuchler, sondern einfach vom Jansenismus angekränkelt.
    Daß aber im Fasching z. B. auf Süßigkeiten verzichtet wird, scheint mir nicht so eine Zumutung zu sein, auch wenn seit Pius XII die Fasten- und Abstinenzregeln weitestgehend nivelliert sind.
    Die Ostkirchen hingegen haben heute noch – auch für Laien und Kinder – äußerst anspruchsvolle Fasten- und Abstinenzregeln.

  4. Was bedeutet Fasten – ora et labora?
    Durch einen Seiner Botschafter erklärt es uns Jesus in etwa so:
    Nach Matthäus 4,1-11
    DIE VERSUCHUNG DES HERRN.
    Als Gott Sein Wort in Fleisch kleidete, vollzog Er als Christus alle Prüfungen der Menschen an sich selbst in Seiner Dreifaltigkeit: Geist, Seele und Fleisch. Im Letzteren liegt die Versuchung – Völlerei, Gier, Neid, Herrschsucht etc. Diese mußte Er überwinden. Deshalb das Bild von der Wüste um sich dabei von der Welt abzuschotten, ergo Klausur. Das Bild vom Versucher ist dabei eine Metapher um es uns Menschen bildhaft darzustellen. Denn Satan wußte genau, daß er es hier mit seinem Herrn zu tun hat. Mit diesem Gleichnis ging Jesus Christus voran um uns einen wichtigen Teil davon zu zeigen, warum wir auf dieser Erde sind und worin unsere Aufgabe besteht – Ihm nachzufolgen, Kinder Gottes zu werden.

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