Von Hermes
Was wünscht sich wohl ein Autor? Zustimmung? Jeder denkende Mensch weiß, daß wir Menschen so verschieden sind, daß ein Text immer nur Anregung sein kann und soll. Die ältesten Freunde, gleichgesinnt, werden bei jedem Gespräch sofort ihre Differenzen entdecken und den klassischen griechischen Dialog entfalten: Genaues Zuhören, Eingehen auf die Argumente und Darlegung der eigenen in einem Ballett, der höheren Wahrheit entgegen. So lernen wir miteinander, und es ist gut so.
Hier jedoch wünsche ich mir wildesten Widerspruch mit den stärksten Argumenten und unwiderlegbaren Beweisen.
https://www.thepublicdiscourse.com/2015/11/15989/ (in Browser kopieren) ist ein Text über de Gaulles Idee von Europa und damit die klassische, die heute verloren scheint. Europa verliert sich.
Seit Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ ist dies ein geflügeltes Wort, wiederum in Anlehnung an Gibbons Aufstieg und Fall des Römischen Reiches.
Seit damals schrumpft Europa in jeder Hinsicht. Spengler war und ist zu Recht umstritten und kaum der Rede wert. De Gaulle, der im Folgenden angesprochen wird, jedoch schon.
Er kämpfte für ein klassisches Europa, dessen Geist uns heute bereits entschwunden ist. Dieser Geist war das klassische judaeo-graeco-christliche Erbe des Altertums, das den Zeitgenossen von Spengler und de Gaulle selbstverständlich war: Lebenselixier, Tradition und Kultur, präsent von den Stätten Athens und Roms bis in die tägliche Paukerei am Humboldt´schen Gymnasium. Tempi passati – außer übrigens in den USA.
Europa ist das geworden, was T.S. Eliot und C.J. Lewis dann Hollow Men, die hohlen Männer, nannten: Die Hülle steht noch, Geist, Kraft und auch Gestaltungswille sind den Weg alles Irdischen gegangen. Tönerne Scheinriesen.
Der fast unheimlich gebildete Douglas Murray hat vor einigen Jahren „The strange death of Europe“ geschrieben, in Deutschland wohl unbekannt. Als Brite und Oxford Man weiß er genau, was die Einwanderungswellen der letzten Jahrzehnte bewirkt haben: Ein London fast ohne Engländer, Muhammad bald der häufigste Name in England für neugeborene Buben, wichtiger aber: Auch aus den Eliten der Tories ist die großartige angelsächsische Tradition verschwunden, der die Welt Freiheit, Parlamentarismus, Shakespeare, die Wohlstandsmaschine Kapitalismus und indirekt die freiheitlichste Verfassung der Welt verdankt, die der USA.
Der Grund dafür ist die nicht erfolgte Integration von Zuwanderern aus Afrika, Indien, Islam. Das Buch ist sicherlich auch deswegen in Deutschland verpönt, weil der geneigte Leser sofort an die akribisch recherchierten Bücher von Sarrazin erinnert wird. Es geht aber nicht um Immigration, diese ist nur Symptom.
Ich erinnere mich peinlich berührt an Debatten um deutsche Leitkultur. Warum sind sie so gnadenlos geistesarm gescheitert? Der Grund ist einfach. Es gibt keine deutsche Leitkultur. Wie de Gaulle sagte, gibt es eine abendländische, Jahrtausende alte Kultur als Grundmelodie, deren Abwandlungen und Intonationen von Jerusalem bis Tromsö variieren. Wer deutsche Kulturen nicht in dieser gegründet sieht, wird nie eine deutsche Kultur finden mit Ausnahme einiger Sekundärtugenden. Schließlich ist ja auch Deutschland eine sehr rezente Erfindung, die bis heute nicht geglückt erscheint, mehr Fiktion als Wirklichkeit. Deswegen wollen die Deutschen ihre Identität ja auch ständig loswerden. Werden sie an ihre Kultur erinnert, denken sie ausschließlich an Pickelhauben und fanatische nihilistische Mörder.
Wie sollte es auch anders sein? Man vergleiche die Curricula des Humboldt´schen Gymnasiums mit den Zielen „Bildung, Weisheit und Tugend“ mit den bodenlosen Lügen heutiger Schulen und Universitäten.
Eine der unendlich vielen Fehleinschätzungen des sogar in der persönlichen Lebensführung widerwärtigen Marx ging dahin, das Sein bestimme das Bewußtsein. Das Äußere bestimme das Innere. Seit Genesis und Plato wissen wir, daß dem nicht so ist. Der Geist bestimmt den Körper und dessen Willensäußerungen. Europa war der Schauplatz der Entwicklung dieses Geistes unserer untergegangenen Kultur bis zu ihrem politisch-wirtschaftlichen Höhepunkt im 19. Jhdt. Seitdem neigt sich der Stern dieses Geistes. Die Hollow Men in unseren modernen Nationalstaaten haben – als mehr oder weniger selbstehrliche Jünger von Marx – mit ihrem Bildungsmonopol die Bildungsstätten zugrunde gerichtet.
De Gaulle, Murray, so viele andere spielen dieses Requiem seit Nietzsche. Der Lateiner F.J. Strauß war wohl der letzte deutsche Politiker, der die Gefahr realistisch einschätzte und deswegen so heftig bekämpft wurde, wie es nun erst wieder mit der „Cancel Culture“ geschieht.
Tout cela est une tragédie. Vive de Gaulle!
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