Die „Messe aller Zeiten“

Kirche in Georgien. Foto: Mari Schneider.

Gedanken aus Anlass des 60.Jahrtags der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils

Teil 1

Von Dr. Juliana Bauer

In konservativ-traditionalistischen katholischen Blogs häufen sich gerade in den vergangenen Wochen wieder einmal Berichte, die Inhalte der „heißen“ katholischen „Eisen“ behandeln. Zu den Hauptthemen zählen:

– das II. Vatikanische Konzil und die „Alte Messe“ (Tridentinische Messe)

– der verpflichtende Priester-Zölibat.

Zunächst möchte ich als Nicht-Theologin, jedoch als Katholikin der Messfeier ein paar Gedanken widmen. Der Messfeier mit deren vor-konziliarer Liturgie ich staunend aufgewachsen bin, mit deren nach-konziliarer Liturgie ich jedoch binnen kurzer Zeit eng vertraut war.

„Tradis“ und Synodale – ein unbrüderliches Verhaltensmuster

Vor wenigen Tagen erschien auf kath.net ein Artikel mit einem fast reißerischen Zitat des traditionalistischen Bischofs Schneider aus Kasachstan als Titel: Weihbischof Schneider: Die ‚Verfolgung’ der Alten Messe ist ‚Missbrauch des Papstamtes’ (09.10.22, siehe dazu unten).

Auf dem traditionalistischen Blog katholisches.info publizierte vor noch nicht langer Zeit „eine Katholikin“ einen Bericht über die „fortschreitende Erdrosselung der alten Messe“ in Paris, ein Bericht, welcher die Frage implizierte, wo denn der neue „Pariser Erzbischof Ulrich“ stehe (14.09.22). Schließlich wisse er um die „Verletzungen“, die „sein Vorgänger Michel Aupetit den der alten Messe verbundenen Gläubigen zugefügt“ habe. Insgesamt sparen die entsprechenden Blogbetreiber über Artikel dieserart hinaus nicht mit Polemiken. So erscheinen in bestimmten Abständen Hinweise mit 45 Thesen/Antworten, warum die nach-konziliare Messe von den Katholiken ihrer Auffassung nach auf keinen Fall mitgefeiert werden könne.

An dieser Stelle reibe ich mir die Augen und wage einen Vergleich zwischen dem Verhaltensmuster der „Tradis“ und jenem der Synodalen.

So frage ich zunächst einmal die „Tradis“: gibt es eigentlich nur euch in dieser katholischen Kirche? Und habt ihr, ihr allein, das Heil gepachtet? Nur ihr? Das Heil über eine Liturgie, die es in eurer bevorzugten Form auch erst seit Ende des 16.Jahrhunderts gibt. Verknüpft mit einer unversöhnlichen Intoleranz allen Andersgläubigen und Andersdenkenden gegenüber.

Und da jene „Katholikin“ in oben genanntem Artikel insbesondere (und zum wiederholten Mal) das stellenweise stark traditionalistisch angehauchte Paris und Frankreich anspricht und vor allem für deren, von Mgr Aupetit … „verletzten“ Anhänger eine Behandlung mit Samthandschuhen einklagt, sei an einen unerhörten, „knallharten“ Vorfall vor 12 Jahren erinnert, der nicht vergessen ist, auch wenn er in deutschen (katholischen) Medien kaum Widerhall fand:

als im März 2010 der damalige Erzbischof von Paris, Vingt-Trois, Rabbiner Rivon Krygier in die Kathedrale Notre Dame zu einem Dialog eingeladen hatte, wurde dieser, als er das Wort ergriff, von Traditionalisten unterbrochen. Diese forderten die Anwesenden laut zum Rosenkranzgebet auf, um die „Beleidigung Gottes wieder gut zu machen“ (Rosenkränze gegen Rabbiner, Jüdische Allgemeine, 29.03.10).

Sie merkten in ihrer verbohrten Arroganz, ihrer lächerlichen Kleinkariertheit und verblendeten Selbstgerechtigkeit noch nicht einmal, dass der GOTT ABRAHAMS, ISAAKS und JAKOBS auch der GOTT JESU ist.

„Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen“ (Mt 5,20).

Euer Verhalten, verehrte Tradis, ist nicht besser, als das unsägliche Verhalten der Progressiven à la Synodaler Weg – abgesehen noch davon, dass letztere sich von der biblischen Offenbarung und Lehre abwenden und ihre eigene „Heilsgeschichte“ schreiben wollen. Auch diese zeigen Andersdenkenden gegenüber eine gnadenlose Intoleranz und schrecken teilweise eben so wenig vor deren gnadenloser Bekämpfung zurück – eine Botschaft, die der DBK-Vorsitzende, der vor Überheblichkeit nicht mehr weiß, wohin er gehen soll, kürzlich wieder in alle Winde tönte: „Wir dürfen uns nicht durch die aufhalten lassen, die einfach alles blockieren.“ Die! Nur – verehrter Herr Bischof, auch Sie und Ihre Vasallen sind auf dem Holzweg. Oder besser gesagt: auf einem Irrweg. Ihre Aufgabe als Christ und Episcopus ist es, die Brüderlichkeit zu leben – von der Sie weit entfernt sind.

Sie sollten mehr die biblischen Schriften zu Rate ziehen:

Die Hoffart des Menschen wird ihn stürzen;
aber der Demütige wird Ehre empfangen“
(Sprüche 29.23)

heißt es in den Weisheits-Sprüchen Salomons. Und vor allem sollten Sie alle auch die Worte Jesu ernstnehmen:

„Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben…“ (Mt 5,17). „Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein…“ (Mt 5,19)

Die Tradis und der „überlieferte Ritus“

Ein weiterer der unlängst erschienenen Beiträge von katholisches.info nimmt kritische Aussagen von Papst Franziskus unter die Lupe, die dieser gegenüber traditionalistisch orientierten Rompilgern machte (19.09.22). Gegenüber Pilgern, die aus Anlass des 450. Todestages von Pius V. (1566 – 1572) nach Rom kamen, „jenem heiligen Papst, der untrennbar mit dem überlieferten Ritus verbunden ist“, wie in dem Blog geschrieben steht.

Das Ökumenische Heiligenlexikon schreibt zu diesem Papst folgendes: „Die Beschlüsse des Konzils von Trient … setzte er (Pius V.) … energisch in die Tat um…“ Desgleichen zeichnete er 1570 für das Missale Romanum verantwortlich, für „das Messbuch für die ganze katholische Kirche mit den Gebeten und Texten für die Messfeier als verbindliche Festlegung der Liturgie, um Missbräuche zu verhindern und evangelische Einflüsse fernzuhalten.

Diese tridentinisch gennannte Form der Messe sollte für immer gelten und es wurde verboten, sie jemals zu modifizieren – was bis zum 2. Vatikanischen Konzil befolgt wurde.“

In der Kompetenz jenes „heiligen Papstes“ lag es nun allerdings nicht, hier (liturgische) Verbindlichkeiten über Jahrhunderte hinaus festzulegen und seinen Einfluss bis weit über seinen Tod hinaus geltend zu machen. Das ist nicht die Aufgabe eines Nachfolgers Petri.

Und – Pius V. ein Heiliger? Heiliggesprochen wurde er im 18. Jahrhundert. Was weiß das Heiligenlexikon dazu weiter?

„Seine strengen Reformen und die repressiven Maßnahmen der Inquisition gegen Andersdenkende stärkten die römische Kirche zur Zeit der Gegenreformation. Er unterstützte die französischen Katholiken in ihrer Verfolgung der Hugenotten, die er vollständig vernichten wollte und deshalb dem Religionsfrieden von St-Germain-en-Laye 1570 widersprach. Pius vertrieb zahlreiche Juden aus dem Kirchenstaat und nutzte die Inquisition schonungslos, um jeden Ketzer zu strafen; so zerstörte er auch alle Keime des Protestantismus in Italien“

Damit erübrigt sich für mich die „Heiligkeit“ dieses Mannes. Eines freudlosen, furchterregenden, hasserfüllten Mannes. Der permanent seinen Hass gegen Andersdenkende und Andersgläubige schleuderte.

Des Weiteren erübrigt sich die Frage nach der Rechtmäßigkeit seiner Befehlsgewalt in Puncto Liturgie (u.a.). Sein Verbot, die Tridentinische Messe jemals zu modifizieren, ist null und nichtig. Bereits seiner Bulle Sanctissimus, in der er unter Strafe jegliche Abendmessen einschließlich der Osternacht verbot, wurde von Papst Pius XII. durch dessen Reformen von Karwoche und Osternachtfeier im Wesentlichen der Boden entzogen. Von Papst Pius XII. wohlbemerkt! Den die Tradis ja gerne für sich einnehmen! Und es waren Reformen, die etliche Jahre vor dem 2. Vatikankonzil durchgeführt wurden.

Feierliche Liturgien vor dem Tridentinum

Es wäre dringend geboten, in dieser ganzen Auseinandersetzung um diese Tridentinische Messe einmal zu berücksichtigen, dass es auch in den rund 1500 Jahren vor dem Tridentinum feierliche Liturgien gab,

dass es diesbezüglich, wie in vielen anderen kirchlichen Fragen, ja selbst in bestimmten Glaubensfragen immer wieder zu Diskussionen und Reflexionen, dass es immer wieder zu Reformen kam. 

Daher soll hier einmal ein ganz kurzer, allgemeiner Blick auf die Entwicklung der Messfeiern geworfen werden. Seit der Spätantike (um 280-570) wurde die als Klassischer Römischer Ritus bezeichnete Liturgie in Rom gefeiert (die ersten zwei bis drei Jahrhunderte des noch frühen Christentums kannten eine lebendige Entwicklung aus dem jüdisch-urchristlich/jesuanischen Ritus hin zu einem jesuanisch-christlichen Ritus. s.u. Aupetit, Folgen 1-9).

Die klassische Liturgie wurde vom Bischof von Rom oder einem ihn vertretenden Bischof oder einem römischen Presbyter /Priester als Gemeindemesse, in der Regel von Konzelebranten umgeben, gefeiert. Die Messen in der Ewigen Stadt fanden vor allem in den großen Basiliken, namentlich in der Lateranbasilika und Alt St. Peter statt. Der Klassische Römische Ritus verbreitete sich ab der Spätantike schließlich auch in anderen Orten und Ländern, die Rom zugehörten.

Doch existierten dort schon bald lokale Formen und Traditionen, welche dem römischen Ritus verbunden wurden, wie der gallikanische Ritus in Frankreich, der mozarabische Ritus in Teilen von Spanien oder der ambrosianische Ritus in Mailand. Letztere sind heute noch existent; sie unterscheiden sich in ein paar feinen Formvarianten.

Vor dem Pontifikat Gregors des Großen (590-604) hatte man immer wieder Veränderungen der liturgischen Formen vorgenommen; Gregor überarbeitete den Ritus dann grundlegend. Ende des 8.Jahrhunderts befahl Karl der Große – und damit ein weltlicher Herrscher – die Feier der Römischen Messliturgie in seinem gesamten Herrschaftsgebiet. Einzelne Varianten gab es nördlich der Alpen: dort übernahm man einige Elemente des vordem vorherrschenden gallikanischen Ritus und verband diese mit dem klassischen (gregorianischen) von Rom.

Dieser römisch-fränkische Mischritus wurde schließlich unter dem Einfluss der Nachfolger von Karl dem Großen in Rom eingeführt und somit über Jahrhunderte für die lateinische Kirche maßgebend.

Die Tridentinische Messe

Die Konzilsväter des Konzils von Trient, Tridentinum genannt, sahen nach der Reformation eine Vereinheitlichung der Liturgie als erforderlich an, um die „Gültigkeit und die Würde“ der Eucharistiefeier zu sichern (Wikipedia) – eine Absicht, die zunächst verständlich und sinnvoll war. Es zeugt jedoch von Anmaßung und Überheblichkeit, die reformierte und vereinheitlichte Liturgie dann als die „Messe aller Zeiten“ zu definieren. Von einer Anmaßung gerade auch den feierlichen Riten der vortridentinischen Zeit gegenüber, die, wie bereits hervorgehoben, immerhin 1500 Jahre umfassen.

Auch wurde dem Tridentinum von Kritikern vorgeworfen, dass ihre „ausgewählten Gelehrten“ zu geringe liturgiehistorische Kenntnisse besaßen, namentlich über die Hl. Messe der Alten Kirche (bis 5.Jh.) sowie jene der Ostkirchen (was offenbar heute noch bei einigen Vertretern vorherrscht). Aber nicht nur das. Auffallend bei den Tridentinern, vor allem bei ihren Nachfahren ist die Ausklammerung, ja mitunter sogar Ablehnung der jüdischen Herkunft Jesu, seiner jüdischen Kultur und Glaubenstradition, welche die Grundlage der aus dem Schabbatmahl (Segen, Brotbrechen, Lobpreis Gottes/Danksagung) stammenden Eucharistie bilden und aus deren Herkunft das eucharistische Mahl Jesu allein zu verstehen ist. Auffallend ist in der Alten Messe des Weiteren die einseitige bzw. überbetonte Fixierung auf Opferkult und Elevation (von Hostie und Kelch), verbunden mit einer als unangefochten heiligmäßig präsentierten Sonderstellung des Priesters – Aspekte, die vor allem ab dem 13.Jahrhundert zunehmend an Bedeutung gewonnen hatten.

Literatur

– Ökumenisches Heiligenlexikon,  https://www.heiligenlexikon.de/BiographienP/Pius_V.htm

– Römischer Ritus, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mischer_Ritus

– Klassische Römische Liturgie, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Klassische_R%C3%B6mische_Liturgie

– Tridentinische Messe, Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Tridentinische_Messe#:~:text=Matthias%20Gaudron%3A%20Die%20Messe%20aller%20Zeiten.

Zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Eucharistie

von Erzbischof Michel Aupetit, 2020:

paris.catholique.fr, Diocèse de Paris, Mgr Michel Aupetit, archevêque de Paris. Entretiens sur la messe de Mgr Michel Aupetit (Erläuterungen von Mgr Michel Aupetit zur Hl. Messe). In 31 Folgen.

Übersetzung und Rezeption ausgewählter Folgen: Dr. Juliana Bauer

https://www.kath.net/news/71958

Hier: Folgen 1 – 5

https://www.kath.net/print/72021

Hier: Folgen 6 – 9

Die „Messe aller Zeiten“. Die „Messe aller Zeiten“? Gedanken aus Anlass des 60.Jahrtags der Eröffnung des II. Vatikanischen Konzils

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2 Kommentare

  1. Zuerst wollte ich den Artikel uebergehen, aber er ist nicht nur gut geschrieben, sondern hat auch Inhaltstiefe, die einen nachdenken laesst.

    Ich denke Form ist eine wichtige Angelegenheit, welche u.a. die Wuerde und Gewaltigkeit einer Sache unterstreicht. Uns wurde es vielleicht erst kuerzlich waehrend der Zeremonien um “die Queen” wieder bewusst. Selbst wenn wir an der Sache anfangen zu zweifeln, koennen wir uns an der Form festhalten, bis sich die Zweifel ggf. aufgeloest haben. Allerdings die Form zur absoluten Bedingung zu machen, ob man jemanden als Christen anerkennt oder nicht, ist der Sache selbst schaedlich. Und wenn man der Form gar keine Bedeutung mehr zumisst, dann kriegt man halt solche Gender-Regenbogen-Trallala “Gottesdienste”, die m.A. wuerdelos, unanstaendig sind und Schwaeche ausstrahlen.

    Bei vielen anderen Glaubensstreitigkeiten, die m.A. nur “skin deep” zw. den christlichen Sekten/Kirchen sind, glaube ich, dass man die Religion zu stark ‘ver-theologisiert’ hat, anstatt fuer das Gemeinsame zu sorgen. Das hat vor allem m.A. machtpolitische Gruende. Die Kirchen war ja in Europa grosse Landbesitzer (und sind es z.T. noch) und sahen die Konkurrenz der anderen Sekte als betriebswirtschaftlichen Verlust.

  2. Wenn mans genau nimmt müssten sich alle Christen, die es ernst mit Jesus, seiner Botschaft und Gott nehmen, an die Zeit (Urgemeinde) vor dem Konzil zu Ephesos 431 n. Chr. halten.

    -ein christlicher Glaube
    -ein Gott
    -eine Bibel
    -eine theokratische Schule

    Selbst das christliche Signum Chi und Rho wurde beseitigt und durch das Kreuz ersetzt.

    Bild:

    https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/78/Entwicklung_Christentum.png

    Alles andere ist religiös verbrämte Politik.
    Repräsentiert durch den “Mensch” Papst.

    Ähnlich wie im Islam. Dort nur ohne Zentralgewalt hoher Geistlicher (Papstäquivalent). Mohamed, ein Mensch der aus dem Judentum und dem Christentum machtpolitische Schlüsse gezogen hat, um sein System gesellschaftlich zu installieren, zu zementieren und damit auch den Weltherrschaftsanspruch stellt.

    …meine Meinung als Ungläubiger.

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