GEISTLICHE DRANGSALE

Geistlicher Missbrauch – Körperliche Misshandlungen

Teil 2



Kindesmisshandlung in Form von Züchtigung war früher so normal, dass Kinder sie im Spiel nachahmten, wie diese Kinderbuchdarstellung von 1908 zeigt. Gemeinfrei über Wikipedia.

Dem sexuellen Missbrauch ging/geht in der Kirche häufig ein geistlicher Machtmissbrauch voraus (siehe u.a. „Gift für den Glauben. Theologe befürchtet Glaubensverlust durch spirituelle Gewalt“, Domradio 22.02.23). Bevor ich auf diesen in einigen bekannten Varianten zu sprechen komme, möchte ich zunächst auf die von den „Tradis“, d.h. den traditionalistisch orientierten wie auch den konservativen Katholiken oft genannten, spezifischen Gründe für sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche eingehen. 

Liegt die Schuld des sexuellen Missbrauchs beim Zweiten Vatikanischen Konzil?

Insbesondere die Tradis sehen den eigentlichen Auslöser für die sexuellen Vergehen und Verbrechen an Kindern und Jugendlichen sowie die Verbreitung homosexueller Priester im Zweiten Vatikanischen Konzil grundgelegt. Sie zeigen mit den Fingern vor allem auf die sogenannte nachkonziliare Priestergeneration, auf deren „Abgrenzung von einem sakral überhöhten Priesterbild“ und auf deren zu „nahbaren“ bzw. „lockeren Umgang“ mit Jugendlichen (siehe z.B. https://www.kath.net/news/80674).

An dieser Stelle werfe ich einige Anmerkungen und Fragen in die „Diskussionsrunden“ einiger dieser Presseartikel.

Glauben die traditionsverbundenen oder traditionalistischen Katholiken allen Ernstes, dass die vorkonziliaren Priester alle von einer solchen „Heiligkeit“ geprägt waren, dass sie auf sämtlichen Ebenen des Menschseins sich kaum etwas zu Schulden kommen ließen? Dass sie fast alle auch von solcher „Reinheit“ und von solcher Ehrfurcht Gott und dem Menschen gegenüber geprägt waren, dass sie stets vorbildhaft, ja nahezu engelsgleich unter ihren Gemeindemitgliedern wandelten?

Da war die Mutter Jesu, die sich lange vor dem Zweiten Vatikankonzil, nämlich im Jahr 1846 zwei Kindern in La Salette bei Grenoble gezeigt haben soll und von deren Erscheinung allen Katholiken voran gerade die Traditionalisten überzeugt sind, allerdings anderer Ansicht. Laut den Aussagen der Kinder bezeichnete sie eine ganze Reihe von Priestern als „Kloaken der Unreinigkeit.“ Im Jahr 1846 wohlbemerkt.

Ein Wort, dessen tieferer Sinn erschrecken lässt. Unflat, Schmutz … Sünde, Unkeuschheit, Schande, Schmach, unsauberes Wesen… fand ich bei den Bedeutungserläuterungen.

Es wundert mich daher nicht mehr, dass die Marien-Wallfahrtsorte Lourdes und Fatima, wo, wie in Lourdes die von Krankheiten gezeichnete, in Fatima aber vor allem die sündige MENSCHHEIT im Mittelpunkt steht, von einer breiten Geistlichkeit bevorzugt wird… La Salette ist bei vielen katholischen Klerikern, wo ihre Zunft selbst stellenweise unrühmlich im Zentrum steht, offensichtlich nicht der Renner…!

Ohne die gegenwärtige fehlgeleitete und, wie mir scheint, schon krankhafte Ausrichtung und Fixierung auf die Homosexualität einer gewissen Gruppe von Priestern und Laien übersehen zu wollen, verweise ich diesbezüglich auf zwei Tatbestände aus der Geschichte.

1. Auf die Missbrauchsfälle, die ebenso aus der vorkonziliaren Zeit, wie beispielsweise im München der 1940er und 1950er Jahre (s.u.) und vieler anderer Orte, untersucht und nachgewiesen wurden.

2. Auf (mündliche) Berichte mir bekannter und ernstzunehmender süditalienischer Priester, die größtenteils in den 50er Jahren geweiht wurden und von der Existenz homosexueller Kandidaten und ihren Machenschaften in den Seminaren Süditaliens jener Jahrzehnte erzählten.

(Eine „ausgeprägte Homosexualität von Priestern“ nennt das Münchner WSW-Missbrauchs-Gutachten von 2022 aufgrund einer „namhaften Zahl…von Belegen“ aus mehreren Jahrzehnten; die MHG-Studie der DBK von 2013-18 deckte auf, dass „ein deutliches Überwiegen männlicher – minderjähriger – Betroffener“, verzeichnet werden konnte, die Opfer sexueller Übergriffe, vor allem durch Kleriker, wurden. Dennoch will der Synodale Weg eine Liberalisierung homosexueller Kleriker wie umgekehrt die Tradis die Schuldigen beim Zweiten Vaticanum ausmachen).

Körperliche Züchtigungen und Misshandlungen

Zu den Fällen von sexuellem wie auch spirituellem Missbrauch gesellte sich, insbesondere bei vorkonziliaren Geistlichen, noch ein weiteres Übel hinzu: die körperliche Misshandlung. Allgemein in der Pädagogik üblich und weit verbreitet, wurde diese nicht selten auch der geistig-seelischen Misshandlung „verbunden“ oder folgte dieser „auf dem Fuß.“

Insgesamt wehre ich mich dagegen, das Zweite Vatikanische Konzil für alle Unbilden, Schwächen, Fehler und „Sauereien“ in der Kirche verantwortlich zu machen. Ich wehre mich gegen die Behauptungen der Konservativen und Traditionalisten, das Zweite Vaticanum habe den Grundstein zu sämtlichen unnatürlichen und üblen Auswüchsen im Verhalten von Priestern gelegt oder habe diese begünstigt.

Man schaue sich einmal erhaltene Nachweise aus den vergangenen Jahrhunderten an, die Historiker erforschten… Welche üblen bis verbrecherischen Machenschaften von (leitenden) Klerikern dabei zutage gefördert wurden. Allein betreffs des Verhaltens zu Priesterehe, Zölibat, Frau, Sexualität, Kinder… (siehe meine Beiträge beischneider.net 2022, bei denen ich mich auf historische Recherchen stützte).

Papst Johannes XXIII., dessen Absicht es war, der Frohbotschaft des Evangeliums, der „Verkündigung des Evangeliums neue Kraft zu verleihen“ (60 anni fa veniva eletto Papa Giovanni XXIII – Vor 60 Jahren wurde Papst Johannes XXIII. gewählt, Tv2000it, 23.10.2018), hatte damit begonnen, die Kirche endlich aus dem menschlich oft demütigenden Macht- und Herrschaftsapparat zu befreien (wobei erste Schritte bereits bei Papst Pius XII. erkennbar waren und weitere Schritte von Papst Paul VI. unternommen wurden).

So möchte ich u.a. einige böse Auswüchse im Verhalten mancher Priester der von den Tradis so verehrten, vorkonziliaren Generation aufzeigen, die alles andere als dem Vorbild und der Botschaft Jesu entsprachen.

Erste Priester-Vertreter des Zweiten Vatikanischen Konzils

Nachdem ich noch ein Kind der vorkonziliaren Zeit war, wurde ich eine junge Katholikin der Epoche des Zweiten Vatikankonzils. Ich kannte zahlreiche Priester – Priester der vorkonziliaren Epoche, Priester der nachkonziliaren. Letztere, dann in der Mehrheit, waren engagierte überzeugende Seelsorger und Verkündiger von Gottes Wort. Ich erlebte sie überdies als menschenfreundliche Priester – den Menschen zugewandt. Es waren meist Seelsorger ohne Machtallüren, aber auch solche, die keine falsche Lockerheit und Nähe demonstrieren mussten. Homosexuelle waren nicht darunter, jedenfalls fiel keiner der Geistlichen als solcher auf.

Von der Priesterkaste der vorkonziliaren Zeit – Geschichten über Un-Würden

Die alten Männer der vorkonziliaren Priesterkaste, aber auch durchaus hin und wieder einer der jüngeren Generation, geweiht in den frühen 60er Jahren und von jenen noch geprägt, hatten mir häufig ein anderes Bild vermittelt. Seelische und/oder körperliche Züchtigungen oder Misshandlungen waren nicht gerade selten an der Tagesordnung. Eine Spezialtortur „rundete“ die seelische Qual in ausgefeilter Weise ab: unzählige Kinder waren darüber hinaus dazu gezwungen, ihre Beichte bei solchen Priestern abzulegen (zum Thema Kinderbeichte siehe mein Beitrag beischneider.net vom 22.02.23). 

Verachtung und Prügel – „Seelenbalsam“ der Unerbittlichkeit

Herabsetzung eines Kommunionkindes

In meinem letzten Beitrag sprach ich über den Pfarrer meiner Kinderjahre, den „Herrn Stadtpfarrer.“ Im Beichtstuhl ein fast liebevoller Priester machte ich jedoch außerhalb des Beichtstuhls auch eine andere Erfahrung mit ihm. Von vielen Gläubigen allgemein als „gütiger und verständnisvoller Seelsorger“, ja mitunter als „heiligmäßiger Mann“ verehrt, konnte dieser, auch Kindern und Jugendlichen gegenüber, zeitweise eine Härte zeigen, die manchmal fast an Verachtung grenzte und einen buchstäblich in sich zusammensacken ließ. Mit einer Herzlosigkeit, die keine Güte mehr erahnen ließ und die mir heute noch ein Rätsel ist, war es ihm möglich, ein Kind, selbst vor anderen, niederzumachen – die Gründe dafür waren für mich häufig nicht ersichtlich.

So erging es mir selbst einmal. Sicher passte mein oft unbändiges, italienisches Temperament nicht in seine grundsätzliche Vorstellungswelt von einem gehorsamen, gottergebenen Kind. Oder erinnerte er sich an die „bösen Dinge“ in meiner Beichte, die ich bei ihm ablegte? Was immer es war – an der Kaffeetafel meiner Erstkommunion (ich war 8 Jahre alt) veranlasste ihn ein Gespräch mit meinen Eltern dazu, einen für mich nachteiligen Vergleich mit meinem damals 3-jährigen Bruder, einem „ruhigen, lieben Kind“, zu ziehen und über mich, das „oft wilde, ungezogene Kind“ loszuschimpfen und mir abgrundtief böse Blicke zuzuwerfen. Bis meine Tante – vielleicht war es auch meine (erwachsene) Kusine – das Wort zu meiner Verteidigung ergriff. Ich weiß eines noch genau: dass ich völlig entgeistert in unserer Wohnstube stand und die Welt nicht mehr begriff. Ich wusste nicht, was ich verbrochen haben sollte…

Das Schlimmste aber waren dabei für mich zwei Erfahrungen:

zum einen die bittere Enttäuschung über diesen, von mir bis dahin geliebten „Herrn Stadtpfarrer.“ Zum anderen die schmerzliche Enttäuschung über meine Eltern, die es in ihrer (noch) klerikalen Hörigkeit und Unterwürfigkeit nicht gewagt hatten, gegenüber dem „Herrn Stadtpfarrer“ Partei für mich, ihr Kind, zu ergreifen (in ihren späteren Jahren wurden meine Eltern liberaler und kritischer).

Prügel für Ministranten und Schüler

Ein Geistlicher aus einem der Nachbardörfer, ebenfalls den Vorkonziliaren zugehörig, war von seinen Ministranten ob seiner fürchterlichen Prügel-Attacken gefürchtet. Timo, einer meiner Mitschüler und ein äußerst gutmütiger Junge, war unter jenem Pfarrer Messdiener. Als ich Timo einmal ahnungslos auf ihn ansprach, da mein Vater jenen Pfarrer gut kannte, stimmte Timo – wir waren damals 11 Jahre alt – eine nicht endenwollende Klagelitanei an (die ich im alemannischen Originalton widergebe):

„Oh je, oh je, oh je…! Oh je!

Hör mir uff mit sellem. Des isch ä Deifel in Person. Weisch, wenn i bi de Probe emol falsch am Altar lauf, danno kriäg i glich eini ins G’sicht batscht. Awwer wiä. Do hör’sch d’Engel im Himmel singe! Un bi dr Mess. Do isch’s noch schlmmer. Wenn einer ä Fehler macht, gitt’s hinterher in dr Sakrischtei Hieb. Do isch alles z’spot. Awwer in dr Mess spielt’r dr Fromm. Der Sattan!“

(„Hör‘ mir auf mit dem. Das ist ein Teufel in Person. Weißt du, wenn ich bei der Probe einmal am Altar falsch laufe, dann schlägt er mir gleich ins Gesicht. Aber wie. Da hörst du die Engel im Himmel singen! Und bei der Messe ist es noch schlimmer. Wenn einer einen Fehler macht, gibt es danach in der Sakristei Hiebe. Da ist alles zu spät. Aber während der Messe spielt er den Frommen. Dieser Satan!“)

Ja, er spielte den Frommen, der „hochwürdige Herr…!“

Als ich meinte, dass ich unter einem solchen Pfarrer keinen Ministrantendienst machen würde und Timo fragte, warum er damit nicht aufhöre, sah mich dieser ganz ungläubig an: „Weisch nit, worum? Will i nit derf. I derf nit uffhöre. Minni Eltere b’stehn druf, dass i Ministrant blibb. Sunsch geht’s im ganze Dorf rum.“ 

(Weißt du nicht, warum? Weil ich nicht darf. Ich darf nicht aufhören. Meine Eltern bestehen darauf, dass ich Ministrant bleibe. Sonst geht es im ganzen Dorf herum).“

Will heißen, dass das schändliche Verhalten des „Hochwürden“, der besser als „Unwürden“ bezeichnet wird, dann wohl im ganzen Dorf diskutiert würde… Das Verhalten eines „frommen, gottesfürchtigen“ Priesters, wie es sie, laut vielen Tradis, ja nur noch vor dem Zweiten Vaticanum gab… … …?

Der alte Dorfpfarrer war nicht der einzige, der sich permanent Prügelattacken leistete. Im Gymnasium, wo in der Regel keiner der Lehrer mehr zuschlug, ganz im Gegensatz zur „Volksschule“ (Grund- und Hauptschule), wo die Lehrer noch endlos prügelten und viele Kinder in Angst und Schrecken versetzten, konnte ich bei einem unserer noch vorkonziliaren Kapläne/Vikare der Stadtpfarrei regelrechte Prügel-Ausraster erleben. Zum Glück nur bei diesem!

In jeder Religionsstunde hatte er einen der Jungen auf dem „Kicker“, der dann mit seinen Schlägen Bekanntschaft machte. Die Gründe für den Priester lagen darin, dass er, entgegen seines Vorgängers, völlig humorlos war und keinerlei Spaß ertragen konnte. Denn etliche meiner Mitschüler waren spaßige Typen, die sich einfach gerne einmal ein Streichlein erlaubten. Und wehe in „Reli.“ Der Kaplan schlug jedem der Spaßvögel gnadenlos ins Gesicht, sich dabei die Lunge fast herausbrüllend. Mit uns Mädchen schrie er gleichfalls herum, uns zu schlagen traute er sich aber offenbar nicht.

Doch auch die Ministranten unserer Pfarrei verschonte der „Herr Vikar“ nicht. Dasselbe böse Spiel wie in „Reli“ trieb er, der als „Ministranten-Pfarrer“ für diese verantwortlich war, auch mit ihnen. Wie ich durch „die Blume“ erfuhr, soll es dann irgendwann massive Beschwerden gegeben haben – Eltern wandten sich ans zuständige Ordinariat. Für unseren Religionsunterricht bedeutete dies, dass er abgezogen wurde und von da an ein nicht-priesterlicher Theologe unser „Reli-Lehrer“ war. Einer, dem nicht nur Schläge fernlagen; er drangsalierte uns auch nicht mehr mit den endlosen Sätzen des Katechismus, sondern führte uns durch spannende Texte in das Wesen des katholischen Glaubens ein. Und – er brachte bereits den Geschmack des damals befreienden Konzils mit.

„Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (1 Mose 2,18)
Der Terror an den Eheleuten – Spirituelle Drangsale – Spiritueller Missbrauch

Die „sündige“ körperliche Liebe

Die alte Dame war empört, zornig, als ich sie an jenem Montagabend im Jahr 1969 besuchte. Natürlich nicht wegen meines Besuchs – sie war eine liebe Freundin von mir, die kluge Freundin einer damals Jugendlichen.

Ich hatte sie besonders ins Herz geschlossen. Sie war, „obwohl“ unverheiratet, sehr aufgeschlossen. Moralisierende und tratschende Betschwestern, die sich hin und wieder bei ihr einfanden, jagte sie nach kurzer Zeit zum Teufel. Und sie nähte für zahlreiche Kinder in der Stadt wunderbare Kasperlpuppen aus Stoff; schon deshalb liebten sie „das Fräulein Hermine“, auch Herminchen genannt.

Der Grund für „Herminchens“ Zorn war, was ihrer Schwester widerfahren war. Die sie mit ihrem Mann am Nachmittag jenes Montags besucht hatte. „Das ist doch der Gipfel,“ schimpfte Hermine. „Dass es noch immer solche Schinder unter den Pfarrern gibt… Stell dir vor, meine Schwester – sie ist ja nun auch schon in den 50igern – war am Samstag beichten. Da fragte sie der Pfarrer nach ihrem Eheleben aus. Und ließ nicht locker, als sie nicht darauf eingehen wollte. Am Ende hielt er meiner Schwester eine riesige Standpauke und gab ihr zur Buße drei Rosenkränze auf. Zur Buße wegen des Beischlafs mit ihrem Mann, den sie noch immer sehr mag. Kinder kann sie halt keine mehr kriegen.“

Ich sah die alte Dame sprachlos an. Über das Eheleben hatte ich mir als Jugendliche noch keine Gedanken gemacht. „Wieso fragte der Pfarrer Ihre Schwester nach ihrem Eheleben aus?“ Ich glaubte, meinen Ohren nicht zu trauen. „Aber, wenn die beiden doch verheiratet sind!“ „Was denkst du denn, Juliana? Den Beischlaf müssen Eheleute beichten, wenn sie keine Kinder zeugen.“ „Wie bitte?“ Das war mir damals neu. Meine Antwort war lapidar: „Ich glaube, ich werde evangelisch.“ Etwas später, als ich meiner alten Freundin beim Nähen eines Stoffkasperl zusah, kam ich noch einmal auf das Thema zurück: „In Reli erzählen uns die Pfarrer, Sex sei nur in der Ehe erlaubt. Auch wenn man sich noch so liebt. Jetzt soll man auch in der Ehe nicht zusammensein dürfen. Wenn das auch Sünde ist, ist heiraten ja eigentlich überflüssig. Und wenn ich mit meinem Mann nur Kaffee trinken soll, brauche ich keinen Ehemann.“ Worauf sie, von ihrem Kasperl aufsehend, brummte: „Nun, unsere unverheirateten Pfarrer sind auch keine Engel…“

Zwei Jahre vor seinem Tod packte mein 88-Jähriger Vater aus. Eines Abends, als wir nach dem Essen noch zusammensaßen, brach es aus ihm heraus. Voraus waren Gespräche über evangelische und katholische Glaubensfragen gegangen (s.u.).

„Wenn ich zurückdenke an die Zeit, als wir junge Eheleute waren, deine Mutter und ich. Mein lieber Schwan…! In den ersten Ehejahren war ich leider noch im Krieg und dann in Gefangenschaft. 1948, als ich zurückkam, waren wir sechs Jahre verheiratet. Dann ging der Zirkus mit der Kirche los. Einige Pfarrer wollten uns das Glück des Ehelebens nicht gönnen.

Ich habe es noch gut in Erinnerung. Das war bei manchen Pfarrern immer wieder eine Qual in der Beichte.“ Dann erzählte mein Vater eine Begebenheit, die er nach der Heimkehr aus der Gefangenschaft mit einem Pater im Beichtstuhl erlebte. Der „Mann Gottes“ löcherte ihn mit Fragen nach seiner Ehe: wie lange er schon verheiratet sei, fragte ihn nach dem sexuellen Zusammensein mit seiner Frau, ob er Kinder habe usw. Als ihm mein Vater erklärte, dass er in der nächsten Zeit dabei sei, beruflich wieder Fuß zu fassen und eine sichere Lebensgrundlage für eine Familie zu schaffen, fing der Pater an, ihn in Grund und Boden zu verdammen und ihm unter Androhung, ihm die Absolution zu verweigern, seine sexuellen „Sünden“ vorzuhalten, welche mit der Unterlassung der Zeugung eines Kindes eine besonders schwere „Sünde“ nach sich ziehe.

„Ich war am Boden zerstört“, meinte mein Vater. „Aber damals war man dumm. Dumm, weil die Priester ein „geweihtes Haupt“ und „hochwürdige“ Herren waren, denen man nicht zu widersprechen hatte. Und sich nicht zu widersprechen traute. Von denen es immer wieder welche auszunutzen wussten und ihre Macht demonstrierten. Dumm und verängstigt waren wir ob der Drohungen vor einem richtenden und strafenden Gott. Von einem Gott der Liebe war nahezu nie die Rede.

Heute sprechen die Pfarrer nur von der Liebe Gottes. Ich höre nur Liebe, Liebe… Alles ist Liebe. Manches ist da auch wieder fraglich für mich. Mir kommt es vor, als würden sie Gott nun weichspülen…“

Mein Vater kam noch einmal auf das Beichten zurück: „Weißt du, was ich heute machen würde? Ich würde mir das alles nicht mehr bieten lassen. Heute würde ich aufstehen, dem Pater sagen, dass er seine Absolution behalten könne und würde den Beichtstuhl verlassen. Was mischten sich diese ledigen Gesellen überhaupt in das Eheleben ihrer Gläubigen ein? Wahrscheinlich hätten viele selbst gern eine Frau gehabt!“

Seelenterror. Geistiger und religiöser Terror. Gepaart mit sexuellem Verbal-Terror. Eine Art sexueller Missbrauch in Verbal-Attacken.

Ein Terror an Eheleuten, den Papst Franziskus völlig ablehnt. Und in seiner Ablehnung gewissermaßen die Enzyklika Casti Connubii (Keusche Eheleute, 1930) von Pius XI. entschärfte bzw. aufhob, in der betont wird, dass der eheliche Akt „seiner Natur nach nur zur Zeugung von Nachkommen bestimmt sei.“ 

Eine Behauptung, die sich in eine Reihe von kranken Fehlinterpretationen und theologischen Tricksereien einfügt, wie sie mehr als 1000 Jahre lang Bestand hatte. Die biblischen Schriften waren Alt-Rom offenbar wenig bekannt… Denn im zweiten Kapitel des Buches Genesis sagt Gott: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt. Ich will ihm eine Gehilfin machen, die ihm entspricht“ (Gen.2, 18). Und im Weiteren wird die enge, körperliche Zusammengehörigkeit des Mannes mit seiner Frau betont: „Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau und sie werden ein Fleisch“ (Gen 2,24). Gott bindet die Gemeinschaft, die Liebe zwischen Mann und Frau nicht allein an die Nachkommenschaft (Gen 1,28), sondern setzt sie dieser gleich und setzt sie dieser voraus.

In Bella Italia gibt es offenbar noch jene Vorfälle des einstigen Terrors an Eheleuten. Nicht umsonst suchen sich Ehemänner, gerade der älteren Generation, immer wieder eine Geliebte, wenn sich die Ehegattin an die Anweisungen eines traditionellen Don Giorgio, Don Camillo usw. hält… Und nicht umsonst hielt Francesco Geistlichen in seiner Diözese Rom vor rund drei Jahren, als er Pfarrvisitationen durchführte, aus diesem Grund eine Standpauke: Eheleute zu drangsalieren und sich in ihr Eheleben einzumischen, sei Klerikalismus und eine „schwere Sünde“ der Herren Kleriker (u.a. https://www.katholisch.de/artikel/23071-papst-auf-sexualitaet-fixierter-klerikalismus-ist-schwere-suende)!

Auch betonte der Papa, dass die Ehe „zwei Bestimmungen“ habe: „sich zu lieben und Leben zu zeugen”. Und Sexualität habe mit „Leidenschaft, mit leidenschaftlicher Liebe” zu tun. Was bei den „Über-Frommen“ wie einer Reihe von kath.net-Lesern damals Entrüstung hervorrief, die deshalb gleich den Zusammenbruch der kirchlichen Moral witterten…

Ein Jahr später ging Francesco noch ein Stück weiter und meinte: „Der Genuss des Essens ist dazu da, dich durch das Essen gesund zu halten, so wie der sexuelle Genuss dazu da ist, die Liebe schöner zu machen…“ (was er auf die Ehe bezog; https://www.katholisch.de/artikel/26826-papst-franziskus-gutes-essen-und-sex-zu-geniessen-ist-goettlich).

(Siehe auch die „Theologie des Leibes“ von Papst Johannes Paul II., die kein Verbotskatalog mehr ist, sondern der Sexualität, eingebunden in die Liebe zwischen Mann und Frau, ihre hohe Wertschätzung zukommen lässt. 

Und ein zusätzliches „Schmankerl“ aus dem katholischen Polen von 2008: https://www.morgenpost.de/vermischtes/article102600290/Wie-Theologie-und-Orgasmus-zusammenpassen.html).

Eheliche Konfessionsverschiedenheit – ein Leben unter dem Kirchenbann

Auch die einstige Tatsache, dass in den Jahrzehnten vor dem Konzil, welches meine Mutter, eine Verehrerin von Papst Johannes XXIII., sehr begrüßte, die Menschen in so genannten Mischehen häufige Schikanen zu erdulden hatten, war ebenso Thema jenes angeregten Gesprächs zwischen meinem Vater und mir.

Diese gingen meist von katholischer Seite aus, bei der der evangelische Ehepartner häufig die Zielscheibe war, bei der jedoch auch der katholische „Sünder“ nicht verschont blieb (wenngleich es auch verbohrte, gesetzesunduldsame protestantische Pfarrer gab, die z.B. eine Konversion mit aller Macht verhindern wollten).

„Viel Leid, Familienstreit und Gewissensnöte brachten die strikten Heiratsverbote der Kirchen früherer Generationen. Erst das Zweite Vatikanische Konzil erlaubte eine neue Sicht auf ‚konfessionsverbindende‘ Ehen.“ So die Einführungsworte zu einem Artikel von 2020 in Domradio (https://www.domradio.de/artikel/hindernisse-aus-dem-weg-geraeumt-vor-50-jahren-erlaubte-der-papst-gemischtkonfessionelle).

Auf meine Mutter, einst evangelisch, wurde bis zu ihrem Entschluss, katholisch zu konvertieren, massiv Druck ausgeübt. Sowohl von Seiten des gestrengen evangelischen Herrn Dekans, als auch von der streng katholischen Großmutter, ihrer Schwiegermutter, wiewohl von meinem Vater selbst (was er auch eingestand). Er erläuterte dabei die Rolle seiner Kirche. Der allgemeine Druck ging von nicht wenigen katholischen Pfarrern aus und wurde weitergegeben. Von den Pfarrern, die sich am Päpstlichen Lehramt orientierten, durch das der Papst „ausdrücklich die interkonfessionelle bzw. interreligiöse Ehe“ verbot (Casti Connubii, Pius XI.).

Damit griff dieser auf „das alte katholische Kirchenrecht (CIC) von 1917 zurück, welches „auf das Strengste die Eingehung einer Ehe zwischen zwei getauften Personen, von denen die eine katholisch ist, während die andere einer häretischen oder schismatischen Sekte als eingeschriebenes Mitglied angehört“ untersagte. So wurde unter Drohungen mit Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft, vor allem aber mit Fegefeuer- und Höllenstrafen den Pfarrkindern Gehorsam der Kirche und ihren Lehrsätzen gegenüber, eingebläut.

In einem konkreten, mir gut bekannten Fall wurden diese Drohungen auch verwirklicht. Der Mann, ein ehemaliger deutscher Kriegsgefangener, war katholisch, seine Frau eine gläubige Protestantin. Sie heirateten in „ihrer“ evangelischen Kirche. Kein Monat verging, da erhielt der Ehemann ein Schreiben aus dem zuständigen katholischen Pfarramt, dass er mit sofortiger Wirkung aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen und exkommuniziert sei. Das Ergebnis war, dass er seiner Kirche daraufhin komplett den Rücken kehrte und es später sehr bedauerte, dass nach den Lockerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils keiner der Pfarrer jener Gemeinde je wieder auf ihn zukam und die Exkommunikation rückgängig machte. Sein teils humorvolles, teils bitteres Fazit war: „Es sind allesamt Spitzbuben, der Papst und seine Pfaffen.“

„Geistlicher Missbrauch“ werden die dargestellten Methoden heute genannt. Ich würde sie als „geistliche Drangsaliererei“ oder als „geistlich-seelischen Terror“, bezeichnen. Es ist ein Terror, der nicht ausgestorben ist. Der unter anderen Vorzeichen immer wieder zum Vorschein kommt. Der versucht wird, z.T. vehement, auf Andersdenkende auszuüben, unabhängig von Thematik und Überzeugung.

Auch bestimmte Vertreter einer „zeitgemäßen“ Weiterentwicklung der katholischen Lehre in Moral und Bioethik wie jene des „Synodalen Wegs“ scheinen dafür anfällig und sollten sich dringend davor hüten.

Eine Nachbemerkung:

Wenn die nachkonziliare Priestergeneration „Abschied“ vom „Hochwürden“ nahm, wie u.a. Tradis konstatierten, dann ist darauf Folgendes zu antworten:

Jesus von Nazareth ließ sich nie mit Hochwürden oder einer vergleichbaren Ehrbezeigung anreden. Ebensowenig mit Exzellenz und Eminenz.

Er spielte nicht den erhabenen Herrn wie über Jahrhunderte seine „Stellvertreter“ und zahlreiche Bischöfe und Priester. Er kniete vor seinen Freunden und Jüngern nieder und wusch ihnen die Füße (Joh.13,4 ff.), d.h. er führte eine Arbeit aus, die normalerweise Diener und Sklaven übernahmen. Entsprechend verstört reagierte darauf ja auch Simon Petrus (Joh.10,8).

Diener Jesu und der Menschen zu sein, ohne Machtgehabe und Machtausübung – das ist die Aufgabe der Priester und Bischöfe.

Kommentarregeln: Bitte keine beleidigenden oder strafbaren Äußerungen. Seid nett zueinander. Das Leben ist hart genug.

7 Kommentare

  1. Nun, bei den Protestanten gab es genauso Arschloecher, die ihre Schaefchen maltraetierten, wenn auch auf andere Weise. Allerdings erleben wir heute das andere Extrem, wo quasi alles erlaubt ist und von den Pfaffen offiziell abgesegnet wird.

    Kinder zu schlagen war in den 60’ern noch ein allgemein akzeptiertes Erziehungsmittel und wurde erst in den 70’ern so langsam verpoent. Die 68’er Generation entstand ja nicht aus dem Nichts, sondern revoltierte gegen physische und geistige Pein. Sex, Drugs and Rock’n’Roll war oft eine Kompensation fuer eine voellig versaute Kindheit.

  2. Nur mit dem Unterschied, dass dieses Schema im Islam, einer politischen u. diktatorischen Religion, grundgelegt ist und u.a. im Koran seine Niederschrift findet. Wohingegen das Christus verkündende Neue Testament eine Botschaft der Menschlichkeit vermittelt, die der Macht, den Macht-Hierarchien, der Entwürdigung, Ausgrenzung usw. entgegenwirkt und diese ablehnt. Und dass Kleriker bzw. Klerikergruppen, die der Macht und Gewalt huldigen/huldigten u. Machtsysteme aufbauten, sich von Jesu Botschaft komplett entfernten.

  3. Macht und damit einhehrgehend Machtmißbrauch ist das Wesen einer hierarchischen Glaubensstruktur. (Verbreite Angst und Schrecken und gib eine göttl. Erlösung) Eine parallele Herrscherdynasie (z.B. Errichtung des Vatikanstaat in Rom) auf gleichen Grund und Boden wie das König/Kaiserreich/dem. System, was offiziell den jeweiligen Staat trägt.

    „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“

    soll ja schon in der Bibel stehen. Teile und Herrsche. Damals zwischen Kirche und König, heute hauptsächlich zwischen parteipolitischen Institutionen aber auch zwischen mehreren religiösen Gruppierungen. (Verfeinerung dieses Prinzips)

      • @Semenchkare
        Saudi Arabien -> Wahhabi Regime
        dieses radikalislamische Regime von Saudi Arabien ist viel mächtiger und einflussreicher als das Mullahregime.
        Warum?
        Antwort-> OIC (Organisation für Islamische Zusammenarbeit, kurz OIZ (arabisch ????? ??????? ????????, DMG Muna??amat at-Ta??wun al-isl?m?; englisch Organization of Islamic Cooperation, OIC;)
        und
        Arabische Liga ((arabisch ????? ????? ??????? dsch?mi?at ad-duwal al-?arabiyya, DMG ??mi?at ad-duwal al-?arab?ya ‚Liga der arabischen Staaten‘) (LAS))

        Und Saudi Arabien ist ein enger Verbündeter der USA und der EU schon seit über 40 Jahren.
        Obwohl schon seit über 40 Jahren bekannt ist, dass Saudi Arabien weltweit den islamistischen Terrorismus finanziert und bewaffnet (siehe WikiLeaks Enthüllungen)

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