StartFeuilletonBilder einer Ausstellung – einige Bemerkungen zur Leipziger Buchmesse 2023

Bilder einer Ausstellung – einige Bemerkungen zur Leipziger Buchmesse 2023

Am 29. April habe ich als männliche Begleitperson die Leipziger Frühjahrs-Buchmesse besucht. Heute, nach Inspektion des dort aufgesammelten Papiers, habe ich ein paar Erinnerungsfetzen zusammengeschrieben.

Eins

Gleich auf dem Parkplatz gibt es ein Problem für viele, denn hier wird bare Kasse gemacht. Es staut sich eine unabsehbare Kolonne hinter den aufgebrachten Bar-Geldsuchern (8 €, wer hat die schon?).

Endlich eingeparkt, steigen neben mir Zweie aus dem Auto, die sich fast vollständig entkleiden, obwohl es ziemlich kalt ist (7 Grad). Sie (Mann & Frau) ziehen sodann Strumpfhosen an und aus dem weit geöffnete Kofferraum in einem komplexen Verfahren Einzelteile, die an eine mittelalterliche Rüstung gemahnen – nur aus deutlich leichteren und biegbaren Materialien. Meine freundliche Frage, ob neben der Buchmesse auch noch eine andere Veranstaltung dort stattfinde, wird ignoriert. Ist auch eine blöde Frage, wie ich bald erkennen muss, denn die paar hundert Meter bis zum Eingang befinde ich mich in Begleitung der wunderlichsten Figuren.

Innen, in den Messehallen sind es dann dicht bei dicht Tausende von dieser Sorte. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie wegen all der Bücher gekommen sind. Äährlich. Höre spät am Abend hierzu aus berufenem Munde eine interessante Theorie: Hübsche Mädchen verkleiden sich nicht. Und schon gar nicht so. Zweifel bleiben.

Zwei

An der Koje eines Kleinverlages entdecke ich im Vorüber-geschoben-werden ein Rigaer Tagebuch 1917 bis 1920 von Dagmar Kopfstahl. Ich komme mit dem Aussteller ins Gespräch, weil ich sogleich in dem ausgestellten Buch blättern will. Er sagt mir, dass man bei der Herausgabe entdeckt habe, was für eine wunderbare Mischkultur es dortzulande gegeben habe. Nein, sage ich, es gab vier parallele Kulturen, die sich mehr oder weniger beeinflusst hätten, eine deutsche, eine russische, eine jüdische und eine, damals kaum wahrgenommene, lettische.

Meinem Gesprächspartner ist es unbehaglich. Er beruft sich darauf, dass er den Text von einem bedeutenden Berufsakademiker habe, bei dem er jahrelang gelegen hätte, bis er jetzt bei einem finnisch-deutschen Irgendwas-Treffen präsentiert worden sei. Wundersames Schicksal eines Manuskripts. Mag gar nicht daran denken, wie viele von diesen in den Schränken von Akademikern und Archivaren ihrem physischen Verfall entgegensehen. Um mir nicht weiter in das Anlesen des Buches hineinreden zu lassen, kaufe ich es.

Eine Stunde nach dem Verfassen der vorstehenden Zeilen und der Lektüre des Buches: Auf dem Titelblatt steht: Übersetzungen aus dem Lettischen von… – Des Tagebuchs eines deutschen Mädchens? Wohl kaum. Oder ist dies eine Rückübersetzung? Jedenfalls ist der Text erstmals 2020 in Lettland erschienen mit lettischen Begleittexten und Kommentaren. Klarstellungen des deutschen akademischen Verlegers fehlen, oder sie sind irgendwo versteckt, dass ich sie nicht gefunden habe. Deutsche Kommentierung eines deutschbaltischen Lebens offenbar Fehlanzeige.

Der eigentliche Text des Tagebuchs ist eine Fundgrube für jeden, der nachvollziehen will, wie von der deutschen Bevölkerung von Riga mehrere politische Umbrüche 1917-20 erlebt wurden. Mein Vater erzählte Ähnliches über das Drastische, wenn auch nicht so detailliert, denn er war seinerzeit wenige Jahre jünger als die Autorin.

Drei

Den nächsten Fund verdanke ich meinen Begleiterinnen, die mich in die Koje eines Hörbuch- Herausgebers hineinlotsen. Was sie lockt, finde ich nicht so interessant, dafür aber eine CD, offenbar ein Remake, mit dem Roman Der Gaulschreck im Rosennetz von Fritz von Herzmanovsky-Orlando, einem k.u.k. Surriliker (sagt man so?), in einer Aufnahme des Hessischen Rundfunks aus dem Jahre 1978. Hermanovsky, sage ich – in Erinnerung daran, dass bei mir zu Hause zwei verschiedene Gesamtausgaben stehen, eine davon deutlich im Text bereinigt – zur Standbetreuerin (Marie K. vom Hessischen Rundfunk), ist das nicht ein bissls anti- semitisch? Sie mustert mich einen Moment, natürlich weil sie einen Angriff befürchtet und sagt dann gefasst, man habe seinerzeit alles noch einmal überprüft, nennt auch den Namen des verantwortlichen Redakteurs, Karl Corino, den als Autor zu kennen, ich ihr gerne bestätige. Man entspannt sich. – Im Auto zeigt sich dann, was ich schon befürchtet hatte. Der CD-Player, ein Exot in einem fast neuen Auto, kann die CD, die im MP 3-Format gedruckt ist, nicht lesen.

Vier

In exponierter Lage an einer Kreuzung liegt der Stand des Buchhauses Loschwitz. Vom dortigen Frohsinn der Verlegerin Susanne Dagen angelockt, herrscht reger Betrieb. Alle sind gutgelaunt. Zwischen Espresso und Lübecker Marzipan verabreden Dagen und ich eine Lesung von Monika Maron in meinem Wohnzimmer.

Zwischendurch rede ich mit einem, der von mir wissen will, wann Deutschland endlich souverän werde, was ich mit Bedauern auch nicht zu beantworten weiß, und spreche mit einem anderen, von dem ich nicht weiß, wer es ist, über ein Buch, das ich nicht kenne, bis mir aufgeht, dass es sich hier um den Autor eines Textes handelt, der jetzt in mancherleuts Munde ist: Generation Gleichschritt von Ralf Schuler. Was ich während des Gesprächs nicht weiß: Er war gerade auf dem Weg (oder kommt von dort) zu einer Auszeichnung für verständliche Sprache.

Jetzt im Nachhinein leuchtet mir das ein, denn der Mann war, wie ich erfahre, bis vor Kurzem der Hauptstadtredakteur der Bild-Zeitung. Hat sich mit deutlichen Worten, die ich jüngst erst las, von dort verabschiedet. Meinen Spott, wofür denn die Bild einen Redakteur brauche, erträgt er und versucht mir klarzumachen, dass die Kunst des Blattes darin bestehe, aus einer Meldung eine kurze allgemeinverständliche und zugleich ansprechende Zeile zu machen. Das ist vornehm formuliert. Ich erinnere mich an ähnliche Anforderungen vergangener Jahre aus dem politischen Betrieb, sage aber nichts dazu.

Wir sprechen auch über seine beruflichen Erfahrungen mit der verflossenen Kanzlerin. Ich kann mich jetzt auf das Stichwortgeben beschränken. Was er über ihre Unnahbarkeit erzählt, überrascht mich nicht. Sie werke jetzt an ihren Memoiren. Ob sie denn schreiben könne, beantwortet er mit Hinweisen auf ihre Umgebung. Die Namen, die er in dem Zusammenhang nennt, sagen mir wenig. Ich vergesse sie gleich wieder.

Fünf

Den Vogel schießt wie so oft die Bundeszentrale für politische Bildung ab. Sie ist für mich schon lange die Königin des unfreiwilligen Humors. Vom üppigem Stand der BzB greife ich mir im Vorübereilen nur einen wie gewohnt aufgemachten Grundgesetztext. An den anderen Publikaten werde ich mich nicht, auch nicht versuchsweise berauschen. Sie sind mir von den monatlichen Mailman-Rundbriefen sattsam geläufig. Beim Weitergehen blättere ich in dem Textheft, um, einer alten Gewohnheit folgend, den Stand der Änderungen zu erfahren. Aber ach, außer dem Wort Grundgesetz kann ich nichts lesen, denn dieser Text ist von hinten bis vorn auf Arabisch verfasst. Was er enthält, vermag ich also nicht zu sagen. Nur dies: Allah ist groß und das Interesse seiner Gläubigen gering.

Nachklang

Mir klingt, als ich am folgenden Tag durch die sonnenbeschienene Innenstadt von Dresden schlendere, noch im Ohr, was die Verlegerin Susanne Dagen mir mit auf den Weg gab. In ihrem Laden in Dresden Loschwitz würden jetzt Bewohner des Elbhangs auftauchen, die ihr, der gleichzeitigen Stadtverordneten, klar zu machen suchten, dass sie etwas gegen die Absicht der Stadtregierung unternehmen müsse, Container-Siedlungen für Willkommensbürger in ihrem Wohnsprengel aufzustellen. Sie sage denen, so sagte sie mir, dass sie sich an diejenigen wenden möchten, die sie gewählt hätten.

Wie gesagt, ich bin auf einen Sprung in Dresden, wo alles feiertäglich-fröhlich-friedlich zugeht. Als ich in Elbnähe auf dem Schlossplatz auf den Krach eines Volksfest stoße, fallen mir zunächst kraft alter Seh-Gepflogenheiten einige Mannschaftswagen der Polizei auf, die in den Seitengassen stehen, danach erst die deutlich-deftige Parolen. Hier vermengt sich in sichtlichem Einvernehmen die AfD mit den Bürgern der Stadt. Im Vorübergehen denke ich, dass die sog. Volksparteien sich heutzutage nach solch unverhohlenem Massen-Zulauf die Finger lecken würden.

©Helmut Roewer, Mai 2023

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Dr. Helmut Roewer
Dr. Helmut Roewer
Nach dem Abitur Panzeroffizier, zuletzt Oberleutnant. Sodann Studium der Rechtswissenschaften, Volkswirtschaft und Geschichte. Nach dem zweiten juristischen Staatsexamen Rechtsanwalt und Promotion zum Dr. iur. über ein rechtsgeschichtliches Thema. Später Beamter im Sicherheitsbereich des Bundesinnenministerium in Bonn und Berlin, zuletzt Ministerialrat. Frühjahr 1994 bis Herbst 2000 Präsident einer Behörde für Verfassungsschutz. Nach der Versetzung in den einstweiligen Ruhestand freiberuflicher Schriftsteller. Lebt und arbeitet in Weimar und sonstwo, wo das Meer ist. Weiteres und Kontakt: www.helmut-roewer.de.

5 Kommentare

  1. ….Im Auto zeigt sich dann, was ich schon befürchtet hatte. Der CD-Player, ein Exot in einem fast neuen Auto, kann die CD, die im MP 3-Format gedruckt ist, nicht lesen…..

    MP3 (Audiocodec=Software)
    Auf dem heimischen PC/Laptop ->100€ Rechner reicht dicke aus , unter Linux: kein Problem

    Beispiel ab 40.-€ :

    Windows runter, Linux also beispielsweise Linux Mint drauf und man hat ein brauchbares Allroundersystem.
    Der DVD-brenner liest uns schreibt auch CDs.

    Ebay übersicht

    computer intel dvd intern

    https://www.ebay.de/sch/i.html?_from=R40&_trksid=p2334524.m570.l1313&_nkw=computer+intel+dvd+intern&_sacat=0&LH_TitleDesc=1&rt=nc&_odkw=computer&_osacat=0&LH_BIN=1&_udhi=101

    • Hier mal ein Beispielvideo von einem Technikkanal auf youtube,
      zu so einem kleinem System. Es lohnt sich vorallem für Endanwender ohne großen Technikbezug, sich das mal anzusehen.
      :::::::::::::::

      Home-Office-PC für 20 Euro: Challenge

      116 Aufrufe 24.03.2023 KÖLN
      Dieses Video kommt leider einige Jahre zu spät. Zu Beginn der Covid-Pandemie brauchten alle plötzlich eine Ausstattung fürs Home-Office oder das Home-Schooling. Dabei hat man immer wieder feststellen können, dass einige es nicht geschafft haben, sich da zu organisieren und ein vernünftiges Gerät zum Arbeiten und Lernen zu beschaffen. Dabei muss man gar nicht viel Geld ausgeben! Einen brauchbaren PC zu kaufen, kostet so viel wie ein Kinobesuch mit dem Freund!
      In meinem letzten Projekt habe ich es mir zur Challenge gemacht, einen vollständigen PC für 20 Euro zu finden. Ob das geklappt hat und welche Wege ich dabei gegangen bin, siehst du in diesem Video.

      (Text youtube)

      ca 8 min.

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      Minimalistisch, aber Funktional.

    • von 2017
      ::::::::::::::::::

      Mein Cosplay – Leben fürs Kostüm (Web-Doku)

      ca 15 min.

      5.310 Aufrufe 23.08.2017
      Mit purer Leidenschaft schlüpfen sie in ihre selbstgemachten Kostüme. Sie verwandeln sich in Charaktere aus Filmen und Videospielen. In diesem Video zeigen zwei leidenschaftliche Cosplayer, warum ihr Hobby viel mehr als nur ein “Trend aus Japan” ist.

      „Ich will diesen Wow-Effekt“, sagt Florence aka bakka Cosplay. Das Größte sind für sie die Reaktionen in den Gesichtern der anderen auf ihre extravaganten Kostüme. Und die Halbfranzösin hat ihr Hobby sogar zum Beruf gemacht: Sie wird nicht nur als Cosplayerin für Conventions und Shootings gebucht, sondern stellt mittlerweile auch professionell Perücken her. Seit 2005 schlüpft die gelernte Maskenbildnerin in die verschiedensten Rollen – von Aladdins Dschinni über Marilyn Monroe bis zum Overwatch-Charakter Junkrat.

      Wer beim Wort „Cosplay“ nur kleine japanische Mädchen in pinken Kleidern vor Augen hat, hat die Rechnung ohne Cosplayer wie Daniel aka Eye of Sauron Designs gemacht. Der 31-jährige Österreicher bastelt sich selbst komplette Rüstungen aus Schaumstoff. Sein Ziel? Epische Charaktere aus martialischen Videospielen wie League of Legends oder Warcraft zu imitieren. Und auch Cosplayerin Florence lässt ihrer Kreativität freien Lauf. Aus männlichen Charakteren, die ihr gut gefallen, zaubert sie kurzerhand weibliche Versionen, die sie dann bei Messen zur Schau stellt.

      Ganze 120 Stunden Videomaterial hat Daniel gedreht als er seinen eigenen Muskelanzug hergestellt hat. Herausgekommen ist ein einstündiges auf YouTube veröffentlichtes Timelapse-Video. Das Hobby verschlingt jede Menge Zeit. Aber für Cosplayer lohnt sich der Aufwand allemal. Bei Vorträgen spricht sogar Daniel über die Herstellung seiner Kostümteile, bei Conventions posiert er selbstsicher vor der Kamera. Trotzdem bleibt es für ihn ein Hobby, das ihm vor allem Freude und Freunde beschert.

      (Text youtube)

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